Madagaskar – Artenreich, aufregend, aber arm
Da sich der Abflug um zwei Wochen verschoben hatte, Grund dafür war ein Pilotenstreik der Air France, sind nun erst drei Wochen seit unserer Ankunft vergangen.
Dass die Republik Madagaskar noch sehr jung und die damit verbundene politische Lage noch recht unorganisiert sind, war uns im Vorfeld bereits bewusst, ebenso, dass es sich um ein „Entwicklungsland“ handelt, in dem viel Elend und Armut existieren. Ebenso haben wir aber auch eine vielschichtige aufgeschlossene Gesellschaft und schlussendlich ein traumhaft schönes Tropenparadies, mit ganz eigener und besonderer Flora und Fauna erwartet. Die Erkenntnis traf uns mit voller Wucht, bestätigte das Eine und widersprach dem Anderen. Schon bei der Ankunft am Flughafen und der anschließenden Fahrt in unsere Unterkunft, prasselten die verschiedensten Eindrücke auf uns nieder. Denn trotz der finsteren Nacht waren die Bilder zu erkennen, die uns seitdem tagtäglich in Antananarivo begleiten. Da sind das rege Treiben, ob Tag oder Nacht, alles befindet sich in Bewegung und transportiert Güter auf unterschiedliche Weise.
Von der Natur ist im Verhältnis wenig zu sehen. Die Ursache dafür ist zum Einen, dass nochTrockenzeit herrscht und alles erst langsam aufblüht und zum Anderen scheint die Stadt auch einfach vielerorts in Staub und Dreck zu versinken, der Müll ist omnipräsent in der Hauptstadt! Da es so gut wie keine Mülleimer, geschweige denn Müllabfuhren gibt, dienen oft die offenen Abwasserschächte oder Berghänge als Entsorgungsstätte. Flussläufe und Seen werden vielerorts
auch als Toilette benutzt und trüben das Bild.
Ganz anders ist es da in unserer Unterkunft. Wir leben im Stadtteil Andraisoro, auf einem der Berge von Antananarivo. Über eine kleine abgelegene Straße, die kaum einer Straße gleicht, liegt hinter einem großen Stahltor das Haus unserer deutschsprachigen Gasteltern. Sie betreiben eine kleine Herberge für internationale Studenten und zusammen mit vier weiteren deutschen Studenten leben wir dort in einer Wohngemeinschaft. Hier wird einer der großen Kontraste Antananarivos und vermutlich auch Madagaskar deutlich. Das Grundstück ist von einer Mauer umgeben und es gibt einen eigenen Wachmann, wer sich hier einen leisten kann, der hat auch einen. Dieses Bild findet sich überall wenn bei einem Spaziergang die Umgebung erkundet wird, oder die Fahrt ins Zentrum ansteht. Zwischen provisorisch erscheinenden Holzaufbauten, die als Stände dienen und aus Lehmziegeln gefertigten Häuschen, erhebt sich wie aus dem Nichts eine hohe Mauer, oft mit Stacheldraht und Glasscherben gespickten Enden. Dahinter steht ein verhältnismäßig großes Haus. Der gleiche Anblick eröffnet sich auch auf den Straßen. Während die meisten Verkehrsteilnehmer, allen voran Taxis, die in alten französischen Fabrikaten und notdürftig mit allem vorhandenen repariert sind, über den löchrigen Asphalt poltern, schiebt sich ein großer Jeep, jüngerer Baujahre die Berg- und Talfahrten Antananarivos entlang und untermalt diesen starken Kontrast noch einmal erheblich.
Ein ganz besonderes Erlebnis stellen die Busfahrten dar. Es gibt keine festen Abfahrtszeiten und richtige Haltestellen finden sich auch erst in Zentrumsnähe, davor sind es meist ausladende Flächen. Egal für welche Distanz, die Busfahrt in der Stadt kostet immer das Gleiche. Es wird zu beiden Seiten auf einem Doppelsitz Platz genommen und wenn diese belegt sind, kann ein fünfter Sitz im Gang ausgeklappt werden. Verfügen manche Busse nicht über diesen zusätzlichen Sitz, so werden gepolsterte Holzbretter zum dazwischen Klemmen gereicht. Ungewollt wird so auf Tuchfühlung mit den anderen Insassen gegangen. Irgendwann ruft dann der sich hinten am Bus festhaltende Schaffner zum Fahrpreis auf, und es wird einzeln zu ihm gereicht oder zusammen gesammelt. Außerhalb des Zentrums kann der Austiegswunsch dann durch zurufen erbeten werden und mittels pfeifen signalisiert der Schaffner dem Fahrer dann den anstehenden Stop. Dies wird zum Beispiel erforderlich, wenn wieder einmal der komplette Verkehr zum Erliegen kommt und es schneller ist zu Fuss zu gehen.
Zur Zeit machen wir einen madagassisch Sprachkurs, denn Englisch wird so gut wie gar nicht gesprochen und Französisch verebbt in ländlichen Richtungen. Dies sorgt vielerorts für amüsante Begegnungen wenn wir mit unseren Wortfetzen Bestellungen aufgeben. Aber es kann auch Verwirrung stiften, da sich vor einigen Jahren die Währung von Franc Malagasy in Ariary und somit auch der Umrechnungskurs geändert haben, wird hier mit zweierlei Maß gemessen und die Preise sind nicht immer ganz klar, erst recht nicht, wenn auf madagassisch gefragt wird. Alles in Allem sind die madagassischen Landsleute jedoch sehr höflich und begrüßen einen mit einem freundlichen “vazah“, was soviel heißt wie "Fremder", aber in keiner weise negativ gewertet wird. Die Kinder machen sich gerne einen Spaß daraus und begrüßen einen immer und immer wieder.
Mit den Kindern wirft sich jedoch ein großes moralisches Dilemma auf. Es lässt sich nicht vermeiden früher oder später bei Taxifahrten, Marktbesuchen oder anderen Unternehmungen auf die ärmlichen Verhältnisse zu stoßen. Und so geschieht es nicht selten, dass um Geld oder Essen gebettelt wird, auch von Kindern. Und so herzerweichend diese Begegnungen sein können, desto weniger kann allen geholfen werden. Es besteht viel mehr noch die Gefahr von Taschendieben ausgeraubt zu werden oder eine ganze Schar Kinder anzulocken, weil schließlich jeder etwas abbekommen möchte von den „wohlhabenden Weißen“. Dies ist für uns einer der schwersten Anblicke, zu sehen wie Menschen versuchen in von Abgasen verseuchten Tunneln oder in behelfsmäßig errichteten Schlafplätzen am Straßenrand liegend, Schlaf zu finden, während wir mit dem Geld in der Tasche Entspannung vom Alltag suchen. Und so schaffen es auch Tage, an denen wenig unternommen wurde, einen von den ganzen Eindrücken erschlagen, erschöpft ins Bett fallen zu lassen.
An den Wochenenden unternehmen wir dann häufig kleinere Sightseeingtouren ins Umland. So haben wir vor kurzem die Sommerresidenz der letzten Königin besucht. Eher zufällig sind wir dann auf eine madagassische Soziologin gestoßen, die ganz in der Nähe ein kleines Hotel führt und dabei ist, alte Grabanlagen und die Zugänge dazu wiederherzustellen. Sie hat uns dann eine private Führung zu in der Nähe befindlichen Grabanlagen gegeben und uns im Anschluss in ein benachbartes Dorf eingeladen, wo gerade eine Besessenheitszeremonie, eine sogenannte „Tromba“ abgehalten wurde. Es war uns gestattet die dortigen Gräber zu besichtigen und im Anschluss kurz der Tromba beizuwohnen. Außerdem hat sie uns für ein Wochenende zu sich eingeladen, was wir mit großer Freude gerne bald in Anspruch nehmen. Ebenso steht noch ein Besuch der Universität in Antananarivo aus, an der unsere Mitbewohner im Auftrag des DAAD Germanistik unterrichten. Die Erzählungen über die Uni verheißen allerdings keinen schönen Anblick. So gibt es große Probleme mit Müll, Toiletten und dem Zugang zu Lehrmaterialen in Form von Büchern oder Internet.
Da sich durch den verspäteten Abflug und einen länger angesetzten Sprachkurs unsere weiteren Planungen nach hinten verschieben, werden wir vermutlich ab November unsere Praktikumsplätze und somit eigentlichen Forschungsgebiete beziehen können. Dabei wird Julia Griesohn in einer 24h-Ambulanz im Zentrum, etwas über die verschiedenen Heilungsmethoden und deren Einflussnahme in Erfahrung bringen. Und zusammen mit dem dortigen Chefarzt, welcher selber längere Zeit in Tübingen Medizin studiert hat, ihr Forschungsthema erarbeiten. Martin Radtke wird dann in die Lehrwerkstatt SOLTEC am Rande Antananarivos ziehen und sein Praktikum beginnen.