Montag, 7. Oktober 2013

Larissa Neick - Istanbul, Türkei



Larissa Neick – Istanbul, Türkei




Istanbul oder auch die Stadt der 1000 Hügel, wie ich sie nenne. Nun, seit vier Wochen bin ich angekommen und es hört nicht auf, spannend zu bleiben...



Von Deutschland aus hatte ich mich in den Semesterferien trotz erfolgreicher Bewerbung an der  türkischen Uni für ein Zimmer in den Graduate Appartements, auf die Suche nach einer Wohnmöglichkeit mit Einheimischen gemacht. Nach wenigen e-mails war es auch schon so weit und ich hatte ein 10qm “großes“ Zimmer im Herzen Istanbuls mit einer jungen türkischen Philosophie Studentin gefunden. Da sie vor wenigen Tagen Geburtstag hatte, kennen mich nun auch alle ihre Freunde und die Familie. Wir wohnen zwar zu zweit doch sind wir nie “nur“ zu zweit. Die ersten zwei Wochen lebte ihre Cousine bei uns und ab und an wache ich auf und denke: „Nanu, wer liegt denn da schon wieder auf dem Sofa und schläft?“ So lerne ich schon morgens, noch vor dem eigentlichen Gang ins Bad, immer wieder neue Menschen kennen.  Auch nicht schlecht – sobald man sich daran gewöhnt hat ;).



Da ich mit Erasmus hier bin, studiere ich an der Koҫ Universität. Das ist wohl die teuerste Privatuni der ganzen Türkei und ja: man sieht es auch. In den ersten Tagen war ich so perplex, dass mir auffiel, dass selbst die Aufzüge aussehen wie in einem 4 Sterne Hotel! In den Kursen bin ich hauptsächlich mit türkischen Studenten und die Professoren sind sehr offen in Bezug auf die freie Meinungsäußerung, zum Beispiel hinsichtlich regierungsbezogenen Themen. Auch der Türkisch Sprachkurs macht Spaß – obwohl ich mich immer noch chronisch überfordert fühle, wenn wie heute das Telefon klingelt und die Tante meiner Mitbewohnerin anruft. Immerhin ein kleiner Erfolg - sie hat mich verstanden :). Aber: yavaş yavaş  (langsam langsam) - es wird von Woche zu Woche besser und vor willigen Tandempartnerinnen kann ich mich kaum retten.




Von meiner Wohnungstür bis zur Uni brauche ich ca. zwei Stunden und anfänglich hatte ich mich noch darüber aufgeregt und, wie es die Deutschen wohl tun, nach der schnellsten Transportmöglichkeit gesucht. Mittlerweile habe ich akzeptiert, dass es in Istanbul einfach so ist. Insbesondere nachdem ich selbst von vier (!) Taxifahrern eines Tages zu hören bekam, ich solle doch bitte einen anderen Taxifahrer fragen ob er mich mitnimmt mit der Begründung, dass einfach viel zu viel Verkehr ist. Ja, spätestens dann realisiert man, dass manche Dinge „einfach so sind wie sie sind!“. Seit dem ersten Tag an der Universität fahre ich jedes Mal auf einem anderen Weg zur Uni. Ja, auch Wege und Zeit auf der Strecke zu lassen, kann spannend sein. Einmal mit dem Dolmuş, dann mit der Metro, dann wieder mit dem Bus und am Ende doch wieder mit dem Dolmuş. Es macht Spaß. Und auch wenn die Abgase schon in meiner Kehle kratzten, nachdem ich 2 Stunden bei offenem Fenster im Dolmuş im Stau saß, so hatte ich doch von Anfang an ein unergründliches Vertrauen in die Stadt. Ich versuche mich, ich frage und frage – obwohl ich die Antworten meistens nicht verstehe. Aber das macht gar nichts, denn es macht Spaß und die Türken freuen sich.





Istanbul. Es ist nicht so, wie ich es in Erinnerung hatte. Sicherlich, das Wetter ist nun kalt und regnerisch. Der Winter beginnt. Aber das meine ich nicht. Ich habe das Gefühl einzutauchen in Umbrüche. So spüre ich deutlich, dass sich in der Zivilgesellschaft etwas bewegt. Ich kann es nicht benennen. Ich sehe Bilder mit Schablonen an Hauswände gesprüht von den bei den Demonstrationen Verstorbenen, ich sehe bunte Treppen (ein Künstler begann damit die Stufen einer Treppe in verschiedenen Farben anzumalen, es wurde überstrichen, in ganz Istanbul fingen darauf hin die Menschen an Treppen in allen Regenbogenfarben anzumalen), ich sehe Straßenkünstler singen, singen von einer anderen Welt, ich sehe die Kinder die zuvor am Taksim  Tempotaschentücher verkauft hatten und nun aufgrund der urban transformation (zwangs-) umgesiedelt wurden und in Kadiköy abends Trommel spielen und ich sehe Polizei. Ich sehe sie stehen in voller Ausrüstung, ich sehe sie die Wege absperren als menschliche Blockaden und den Zivilisten wird ein Meter gewährt um sich auf die andere Strassenseite zu bewegen, ich sehe sie in Bussen – vielen Bussen, ich sehe sie am Abend und am Tag und ich sehe sie in Zivil - wenn auf einmal neben mir 20 junge Männer anfangen zu rennen und sich über walki talki verständigen. Es hat sich vieles verändert...

Ich sehe ein Land zwischen Orient und Okzident, das die Grenzen der individuell empfundenen Zugehörigkeit wohl seit langem nicht mehr so deutlich aufgezeigt hat wie es das jetzt tut.



Bezüglich meines Studienprojektes fühle ich mich gerade wie eine Füchsin in Lauerstellung. Mir fällt auf, dass mein Thema die hier lebenden Türken nicht sonderlich zu beschäftigen scheint. Es ist für viele Studenten mit denen ich sprach, zu weit weg. Momentan verharre ich wartend und verfolge alle Fährten und schreibe die Informationen aber auch die anderen Themen welche die Türken von selbst an mich heran tragen, auf meinem kleinen türkischen Rechner nieder. Desweiteren habe ich mich jetzt von der Koҫ Universität aus für ein Praktikum bei der Helsinki Citizens Assembly (refugee advocacy and support program) beworben – die Antwort steht noch aus. Und: jetzt gilt es die Kontakte welche ich von Deutschland aus geknüpft habe zu treffen. Die vier Wochen sind in Windeseile verstrichen aber es bleiben noch weitere sechs Monate.



Es ist nicht nur so, dass ich viele junge Menschen an Universitäten kennen gelernt habe und kennen lerne, sondern auch viel mit meiner Mitbewohnerin unternehme. Eines Tages sind wir morgens mit anderen Freunden zum Frühstück (der wohl wichtigsten Mahlzeit für Türken) aus gegangen und kamen abends um neun Uhr wieder nach Hause. Mir wurde von einer türkischen Freundin gesagt, dass ich einfach lernen müsse „mit den Türken mitzugehen“. Und das lerne ich gerade.





Und ich bin dankbar, hier zu sein.

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Kathrin Fischer - Kirgistan



Kathrin in Kirgistan


Kirgistan – die Schweiz Zentralasiens. Nur sind die Berge höher, die Sommer heißer, die Winter kälter,  die Steinböcke größer, die Wassermelonen besser … es gibt mehr Pferde, mehr Edelweiß….  Also wenn überhaupt, dann eine Schweiz der Superlative! Und genau deshalb hab ich beschlossen mir als allererstes das Land ein wenig näher anzuschauen und war die ersten vier Wochen kreuz und quer in ganz Kirgistan unterwegs. Zu Fuß, per Anhalter und mit den berüchtigten Marschrutkas ging es bergauf und bergab, gefühlt mehr bergauf als bergab, und auch wenn meine Kirgisischkenntnisse noch mehr als schwammig sind, war doch relativ schnell klar, dass ich in einem unglaublich gastfreundlichen Land gelandet bin. 

Inzwischen bin ich auch an dem Punkt, an dem ich mir keinen Kopf mehr machen muss wo am Tisch ich platznehmen darf, wen ich wie korrekt begrüße, wem ich wann meinen Platz in der Marschrutka anbiete, und auch weiß, dass das Klopapier nicht ins Klo, sondern in den Eimer nebendran gehört…. Ich bin also angekommen.
Wenn da nicht das viele Fleisch wäre! Nach inzwischen 12 Jahren Vegetarismus kosten mich Hammelfleischmanty, Besch Barmak und Konsorten doch ordentlich Über­windung! Ist ja nicht so, dass ich nicht versucht hätte es zu erklären…. und an dem Punkt: „Aaahhh VEGETARIANSKI!!!!“ dachte ich auch kurz meine Gastfamilie hätte es verstanden, aber schon fünf Minuten später bekam ich den nächsten Teller mit extra viel Fleisch für den Gast… Wir arbeiten daran…

Seit Anfang September mache ich nun mein Praktikum bei Rural Development Fund (RDF), einer kirgisischen Nichtregierungs­organisation in Bischkek. RDF betreibt Forschung und Projektarbeit in den Bereichen ländliche Entwicklung, nachhaltige Ressourcennutzung, Konflikt­bewältigung und Erhalt von traditionellem Wissen. Im Moment befasse ich mich mit einem Projekt zur Unterstützung kirgisischer Nomadenfrauen. Vor allem in der Spezialisierung auf Milchprodukte liegt hier großes Potential, denn im Gegensatz zu Geld das durch den Verkauf von Fleisch eingenommen wird, steht der Erlös von Milchprodukten traditionell der Frau zur Verfügung. Und da dieses Geld nachweislich zu großen Teilen in die Ernährung und Schulbildung der Kinder investiert wird, gilt die Unterstützung von Frauen als eine der effektivsten Methoden der Armutsbekämpfung…
Und wie das eben so ist: Neben Praktikum, Kirgisisch lernen und Gastfamilie war bis jetzt kaum Zeit um mich mit meiner eigenen Feldforschung zu beschäftigen. Aber es bleiben ja noch gut drei Monate. Und bis dahin feile ich noch ein bisschen an der Auswahl meiner Interviewpartner…