Name: Jan Kohlmeyer
Zeitraum: 06.08.2014 – 17.02.2015
Ort: Seoul, Südkorea
“Survival
of the Fittest“ in der Ubahn
20.12.2014; 12.54 Uhr; Bomun U-Bahn-Station, Seoul:
Neben mir ein freier Platz und die U-Bahn rollt mit donnernder,
aber dennoch sanfter Fahrt Richtung Bomun Station. Als die U-Bahn langsam die
Zielgerade erreicht und bereits langsamer wird, stehen die Menschen eng aneinander
gestaffelt am Ausgang. Die U-Bahn hält, die Türen brechen auf und die Menschen
strömen hinaus. Kaum ist der letzte ausgestiegen beginnt der Umkehrschluss.
Zwei koreanische Damen mittleren Alters, die eine am linken Eingang, die andere
am rechten, voranstürmend in die, bis auf den Platz links von mir, voll
besetzte U-Bahn. Somit beginnt, beide gleich weit weg von mir gestartet, das
Rennen um den letzten komfortablen Platz.
Die Frau am linken Eingang gewinnt und ergattert den
begehrten Platz. Mit einem verschmitzten Lächeln, so scheint es, triumphiert
sie über ihre heutige Kontrahentin. Fast, so wirkt es, treffen sich diese Damen
jeden Tag in der U-Bahn und führen ihr eigenes kleines “Survival of the Fittest“
durch, in einer mir bis zum 06.08.2014 unbekannten Welt.
Südkorea,
ein Land schwankend zwischen Moderne und Tradition wie fast kein zweites. LG,
Samsun, Hyundai und noch viele andere Multikonzerne sichern durch die Leitung
der Chaebol-Familien den wirtschaftlichen Fortschritt und die Zukunft Koreas,
aber dominieren den Wirtschaftsmarkt auch, sodass Klein- und Mittelunternehmen
deutlich darunter zu leiden haben. Zu solch einer Familie zählt beispielweise
auch Cho Hyun Ah, die durch ihre “nut-rage affair“ fragwürdigen Ruhm auf der
ganzen Welt erlangt hat. Auf der anderen Seite dominiert in vielen Lebensphasen
das Gedankengut des Konfuzianismus den sozialen Alltag auf der koreanischen
Südseite der Halbinsel und bewahrt traditionelle Werte. Gerade in der
Altersordnung werden diese Lehren auch im Alltag immer wieder deutlich, da
jüngere Menschen älteren Respekt zollen müssen.
Somit
beginnt meine Geschichte in der Hauptstadt Südkoreas. Seoul, eine Stadt die mit
der geographischen Größe Berlins, aber mit der vierfachen Einwohnerzahl, eine
der am dicht bevölkertsten Metropolen der Welt darstellt. Eine Welt voller
Gegensätze – von modernsten Ideen und Entwicklungen, gerade im Elektrobereich,
bis hin zu provisorisch verlegten Stromkabeln wohin das Auge reicht. Eine Welt,
in der das Handy allgegenwärtig zu sein scheint und eine ganz neue
Dimension von sozialem Status einnimmt. Beim gemeinsamen
Abendessen- bzw. abendlichen Soju-Genuß mit Freunden jedoch wird dieses kleine
technische Wunderwerk meist – so scheint es – als unsoziales, unhöfliches
Mittel gesehen.
In diese faszinierende Welt bin ich am 06.08.2014 vom
Frankfurter Flughafen aus in Richtung Seoul, mit Zwischenstopp in Helsinki,
aufgebrochen. Auf diesem langen schlaflosen Flug machte ich bereits erste Bekanntschaften mit deutschen Studenten, mit denen ich
später mancherlei Ecken in Seoul, wie beispielsweise den Fischmarkt, erkundete.
Nach dem kräftezehrenden Flug wurde
ich von einer Freundin, die mit mir im koreanisch Sprachkurs war, abgeholt und
von ihr erhielt ich erste Instruktionen die mir für mein zukünftiges halbes
Jahr von nutzen sein sollten.
Im Hostel (Auf koreanisch goshiwon 고시원
genannt) angekommen, erwartete mich eine kleine Überraschung in Form eines
kleinen Zimmers, so wie ich es vorher noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Kaum
größer als Harry Potters Abstellkammer wurde ich in der ersten Nacht
untergebracht, da der Verwalter des Hostels meine Buchung für ein großes Zimmer
übersehen hatte. (Ich konnte, wenn ich meine Arme ausstreckte, jede Wand
berühren wenn ich in der Mitte des Zimmers stand.)
Nach einer ungemütlichen und kurzen Nacht konnte ich endlich in ein
größeres Zimmer umziehen, das immer noch
klein, aber zumindest erträglich war.
Danach durchlebte
ich nun meinen ersten Monat in dieser aufregenden Stadt, in dem ich mit neu
gewonnenen Freunden aus dem Flugzeug, aber auch mit Freunden die mich von
Zuhause besuchten, die Stadt erkundete. Wir besichtigten gemeinsam
Sehenswürdigkeiten wie den Namsan Tower, von dem man einen wundervollen Blick
auf die Stadt genießen kann, den berühmten Fischmarkt in Seoul, oder auch den größten
Palast in Seoul, den Gyeongbokgung Palace. Dank der unerträglichen Schwüle, die sich
über der Stadt im August erhob, hatte ich zunächst Schwierigkeiten mich an die
Stadt zu gewöhnen. Diese dämpfige Luft blieb mir auch bis Ende September
erhalten, bis ein wunderschöner Herbst folgte.
Jedenfalls
begann dann im September mein Praktikum bei der Hanns-Seidel-Stiftung Korea.
Die Hanns-Seidel-Stiftung Korea befasst sich vor allem mit der Thematik einer
friedlichen Wiedervereinigung zwischen Süd- und Nordkorea. Die Stiftung verfügt
über Partnerschaften und Projekte (Meist Energie- und Umweltprojekte) in
Nordkorea und verfügt somit Zugang zu einem der, beziehungsweise dem,
mysteriösesten Länder/Land der Welt. Ich erfuhr von der Stiftung bereits in
Tübingen durch einen Bekannten der zuvor dort ein Praktikum absolviert hatte
und mir dieses weiterempfahl.
Während der Arbeit lernte
ich zwei Praktikanten kennen, mit denen
ich die meiste freie Zeit der nächsten zwei Monate verbringen sollte. Zusammen
erkundeten wir beispielsweise die DMZ – die berühmte demilitarisierte Zone –
den “Todesstreifen“. Berüchtigt als 38er Breitengrad, zwischen dem die zwei
einst vereinten Teile Koreas auseinandergerissen wurden. Eigentlich komisch,
denn dies war bis zu dieser Zeit hin mein erster Ausflug, um der stickigen Luft
Seouls zu entkommen, und gerade an diesem “Todesstreifen“, fühlte ich mich so
entspannt wie lange nicht mehr. Der frische Wind wehte einem ins Gesicht und
die Natur schlug ihre Wurzeln, in dem seit langer Zeit unberührtem Touristengebiet.
Erst als ich an einem Aussichtspunkt über die Klippe schaute und unweit
entfernt das Gebiet Nordkorea erblickte wurde mir mulmig zumute.
Meine
Hauptaufgabe in der Stiftung befasste sich vor allem mit einem Projekt namens Gobitec,
einem Energieprojekt, bei dem nach dem ähnlichen Prinzip von Desertec in der
MENA Region, die nordostasiatischen Metropolen mit sauberer, grüner Energie versorgt
werden sollen. Dieses Projekt begleitete mich während den folgenden fünfeinhalb
Monaten Praktikumszeit und nahm einen Großteil meiner Arbeitszeit in Anspruch.
Ich bereitete mich durch intensives Lesen darauf vor, verfasste Artikel,
stellte eine lange Bibliographie zusammen und begann mit der Kreierung einer
neuen Gobitec-Webseite.
Mitte
September startete dann mein 10-wöchiger Intensivsprachkurs an der Hanyang
University. Intensiv trifft es sehr, da ich vormittags arbeitete und im Anschluss
täglich vier Stunden lang Sprachkurs hatte. Da die Lehrerin in den vier Stunden
kaum ein Wort Englisch sprach, hatte zunächst ich enorme Schwierigkeiten
mitzukommen. Somit bestand in den zehn Wochen mein Alltag aus der täglich
wiederkehrenden Routine: 8 Uhr morgens aus dem Haus, arbeiten und Sprachkurs,
um 7 Uhr abends daheim angekommen, circa zwei Stunden lang Hausaufgaben täglich
und im Anschluss noch Berichte schreiben. Somit blieb wenig Zeit für Lernen und
Freizeit. Meine wenige freie Zeit nutzte ich für bereits erwähnte Ausflüge oder
Fußball zu spielen, mit dem neu kreierten Team aus internationalen Studenten
der Hanyang University, welches ich mitorganisierte. Hierbei lernte ich auch
einen weiteren guten Freund kennen, mit dem ich vor allem die letzten zwei
Monate meine Freizeit verbrachte.
Durch
den Sprachkurs, den ich zum Glück bestanden habe, verbesserte sich mein Koreanisch
enorm, jedoch blieb mir das flüssige Sprechen im Alltag immer noch ein Rätsel.
Nach
dem Abschluss des Sprachkurses begann ich Vollzeit bei der
Hanns-Seidel-Stiftung zu arbeiten und beschäftigte mich neben meinem Projekt
meist mit dem Übersetzen von Texten, dem Erstellen von Researchs oder auch der
Teilnahme an Konferenzen wie beispielsweise der “Seoul Climate Change
Conference“. Zudem war eine der Hauptaufgaben das Sammeln von Zeitungsartikeln
zum Thema “Asien Integration“. Dank dieser Tätigkeit vertiefte ich mein Wissen,
nicht nur über Korea, sondern über den ganzen asiatischen Raum und mir wurde
ein neuer Fokus auf das Weltgeschehen gegeben.
Mein größtes Problem, auf
das ich in dieser Zeit stieß, war das Anfreunden mit Koreanern. Da ich über
einen langen Zeitraum wenig freie Zeit zur Verfügung hatte, viel es mir schwer
Koreaner kennen zu lernen und zu dem fehlte mir anfangs ein bisschen der Mut. Im
November hatte ich dann das große Glück das ein neuer koreanischer
Englischübersetzer in meiner Stiftung eingestellt wurde, mit dem ich mich
sogleich anfreundete und in den letzten drei Monaten viel unternahm. Durch ihn
erhielt ich einen tiefen Einblick in die koreanische Mentalität und Denkweise und
gleichzeitig vermittelte ich ihm Wissen über Deutschland, da er sehr interessiert
an Deutschland ist. Zudem bot sich mir die Möglichkeit Menschen aus ganz Asien
kennenzulernen, wie beispielsweise einen Freund auch aus der Mongolei, bei dem
ich sogar zum Essen nach Hause eingeladen wurde.
Eines
der Dinge die ich wohl am meisten vermissen werde ist, abgesehen von neu
gewonnenen Freunden und der bezaubernden Stadt, das koreanische Essen. Zuvor
hatte ich so manches über die koreanische Küche gehört, gerade im Bezug auf die
Schärfe. Jedoch hat mich das koreanische Essen mit seiner Vielfältigkeit für sich
gewonnen.
Der Höhepunkt meines
Aufenthaltes stellte ein Trip nach Goseong mit den Praktikanten und
Mitarbeitern meiner Stiftung dar. Goseong ist ein Landkreis im nordöstlichsten
Teil Koreas, ungefähr 20 Kilometer entfernt zur nordkoreanischen Grenze und angrenzend ans Meer.
Die Hanns-Seidel-Stiftung verfügt dort über ein „Wood- and Culture Project“,
bei dem bereits ein Naturpfad entstand und derzeit über die Installation von
Solarzellen diskutiert wird. Während dieser Tour erblickten wir
nicht nur
wunderschöne und faszinierende Landschaften, sondern lernten die Dorfbewohner
von einem kleinen Dorf kennen. In diesem Zusammenhang verdeutlichte sich das
Problem der Städteabwanderung der jungen Leute vom Land in die Stadt in aller
Deutlichkeit. Der jüngste Bewohner des Dorfes, und gleichzeitig auch der
Dorfsprecher, war 54 Jahre alt. Dies ist keine Rarität in Korea, da diese
Abwanderung der Jugend in Städte, wie Seoul oder Busan, enorme strukturelle
Problem darstellt. Wir wurden durch die Dorfbewohner in aller Herzlichkeit willkommen
geheißen und zum Essen eingeladen. Dies fand in einer Art Gemeindehaus statt,
in dem wir mit circa 30 von ihnen zusammen auf dem Boden saßen und selbst
gemachten Tofu mit “Side-Dishes“ gegessen haben. Ich werde diesen Tag und die
Menschen in dem kleinen Gemeindehaus so schnell nicht mehr vergessen.
Somit
endet langsam meine faszinierende Zeit in Seoul, die mir so viel für mein
zukünftiges Leben mit auf den Weg gegeben hat. Zum einen verstehe ich nun die
Welt, in der sich Koreaner befinden, besser und gleichermaßen empfindliche
Themen, wie beispielsweise Nordkorea oder die problematische Beziehung von
Korea und Japan. Zudem habe ich viel über die koreanische Geschichte, Kultur
und den koreanischen Alltag gelernt.
Bald werde ich Seoul mit einem weinenden, aber auch lächelnden
Auge verlassen, da ich endlich wieder meine Freundin, Freunde und Familie wiedersehen
kann, aber auch gut gewonnene Freunde zurück lassen werde. Zunächst jedoch werde
ich mit meiner Freundin, die mich zuerst in Seoul besuchen wird, einen Ausflug
auf die Philippinen machen, um den kalten Winter in Seoul aus den Gliedern zu
schütteln.
Und möglicherweise führen die Damen aus der U-Bahn, die am
Anfang beschrieben wurden, ihren eigenen kleinen Wettkampf fort, bis zu meinem
nächsten Besuch in Seoul.