T-Cell verspricht
in Khorog 3 GB-fähiges W-lan-Internet. Trotzdem ist es gut Freunde an der
University of Central Asia mit eigenem Büro und eigenem Computer und eigenem
Kabelanschluss zu haben. Dort sitze ich nun und tippe... Denn: Khorog ist die
Provinzhauptstadt des bergigen Gorno Badakhashans – ich aber lebe drei abenteuerliche
Autostunden südlich von Khorog in Ishkoshim, dem Verwaltungszentrum des
gleichnamigen Distrikts. Bis vor kurzem hat T-Cell, ein tuerkisches
Telekommunikationsunter-nehmen, hier nichts anderes als Mobilfunknetz
versprochen – ehrlicherweise. Nun aber gibt es einen neuen „T-Cell store“ und seitdem
auch hier das bekannte wie beruechtigte Angebot von „3 GB Internet”. Die
Ishkoshimi haben (noch) Hoffnung, dass der beeindruckende neue Ladenthresen –
modisch geschwungene fünf Meter
Presspappe Made in China – das Versprechen einlösen hilft. „Wann?” frage ich
den T-Cell-Mitarbeiter und Tanzpartner meinerseits bei einer der vielen
Hochzeiten und Cousin des Ehemannes meiner Gastschwester. Er hat sich ihren
Laptop samt neuem T-Cell-Internet-USB-Stick ausgeliehen, um ein wichtiges
internes Firmendokument bis 12 Uhr Mitternacht zu versenden – das war gestern. Die
neue analoge Praesenz von T-Cell selbst hat noch keinen Internetzugang. “Bald…
das wird schon”, antwortet er. Gelassene Zuversicht ins Ungewisse, wie immer.
Ishkoshim Markaz |
Es gab einmal ein
Internetcafe in Ishkoshim, das auch tatsächlich funktionierte – zumindest in
technischer Hinsicht (ich habe keine Ahnung wie). Was das Geschäftliche
anging, lief es nicht so gut, obwohl die Rechnerplätze begehrt und immer
besetzt waren. Das Problem lag, nach Erzählungen, eher in der hiesig üblichen, verzögerten Zahlungsweise, nach der Bezahlungen nicht nur vertagt
werden, sondern eben auch vollständig ausfallen können. Es kommt darauf an…
Und worauf es ankommt – das versuche ich heraus zu finden. Für das
Internetcafe bedeutete es den finanziellen Bankrott und folglich sein Ende. Das
scheint aber eher ein Einzelfall zu sein – vielleicht gab es auch andere
Gründe, die den Betreiber zum Aufgeben zwangen... (Manche Gerüchte wollen es,
dass die Zentralregierung die Kabel gekappt hat). Wie dem sei, der Einzelhandel
im Distriktzentrum wie auch in den Doerfern im Wakhan flouriert, zumindest
gemessen an der (relativ zu den EinwohnerInnen) hohen Anzahl von Geschaeften
und manchem neuen Gelaendewagen aus Dubai; beides laesst sich durch lokal
erworbene Kaufkraft und Konsumsehnsuechte allein nicht erklaeren. Eine Teilantwort
liefert das Zauberwort „Rassia” und meint Geldüberführungen aus dem Ausland;
neben anderen, weniger offiziellen Einkommensquellen traegt auch die zunaechst
paradox erscheinende Tatsache ihren Anteil bei, dass die meisten Leute
einerseits wenig Geld haben und andererseits einen Grossteil dessen, was sie
fuer das taegliche Leben brauchen, kaufen
muessen, und den vielen „Kammersand“ also Umsatz bescheren. ‘Kaufen’ klingt
zunaechst nach dem banalen Vorgang, bei dem Geld gegen etwas Anderes getauscht
wird (mal abgesehen von Währungstausch und Bankkrediten). In Ishkoshim findet
dieser Tausch oft verzögert (oder nie: es kommt darauf an…) statt – man laesst
gerne anschreiben. Mich interessiert nun, wie dieser ‘verzögerte Tausch’
organisiert ist, welche sozialen und moralischen Hebel am Werke sind, wer wem
warum (nicht) Kredit gewährt, wer wen (nicht) darum bittet und ob und wie
EinzelhändlerInnen an ihr Geld kommen, wenn Kunden untergetaucht oder gar
flüchtig geworden sind usw. Urspruenglich hatte ich Anderes vor, aber wie das
so sein soll in der Ethnologie, hat mir das Feld mein Thema zugewiesen: Es
interessierte einfach niemanden, dass ich
mich insbesondere für die Frauen, die im Bazar bzw. in den Geschäften
arbeiten, interessierte – ich erhielt keine Antworten auf offenbar irrelevante
Fragestellungen. Stattdessen zeigten mir viele HaendlerInnen ungefragt, aber
umso aufgebrachter, ihre handgeschriebenen qarz-Buecher,
in denen sie die Versaeumnisse ihrer KundInnen dokumentieren...
Marktstände in Ishkoshim Markaz |
Mit einigen von
euch teile ich die Erfahrung, schnell an die Grenzen der eigenen
Sprachkenntnisse gelangt zu sein, was jedes weitere Vorankommen enorm
erschwert. Trotz vorbereitendem Persischkurs ist das, was hier gesprochen wird,
doch etwas ganz Anderes - aus verschiedenen Gruenden. Durchaus demoralisiert,
begann ich also zunaechst die Sprache (neu) zu lernen. Das Resultat: Erst im
zurueckliegenden Monat konnte ich Gespraeche mit Haendlerinnen, KundInnen und
NachbarInnenn ohne Uebersetzungshilfe fuehren – zu einfachen Themen, vor allem
den Handel betreffend. Meinen Gastvater
aber muss ich weiterhin regelmaessig enttaeuschen, wenn er mir wichtige Einsichten
in den Lauf der Dinge und das Leben im Allgemeinen betreffend mitteilen will –
nach ein paar Zitaten persischer Dichter bin ich hoffnungslos verloren... und
bedauere dies sehr. Ich bin zwar schon besser darin geworden, die dialekt- und
dentalbedingten Nuscheleien zu dekodieren und unausgesprochene Worthaelften
gedanklich hinzuzufuegen - aber ich will gar nicht wissen, wieviel mir verloren
gegangen ist! Immerhin nimmt er es mir nicht allzu uebel, auch wenn er sich
keine Mühe gibt seine Enttäuschung ueber meine langsamen (?!) Fortschritte
geheim zu halten; er haette soviel mit mir zu besprechen, wenn ich nur
schneller waere...
Resumee zur
Forschung: Vor allem was die Sprachkenntnisse angeht fuehle ich mich eigentlich
erst jetzt im Stande, mein Thema gut bearbeiten zu können – einjährige
Feldforschungen machen also definitiv Sinn... Wahrscheinlich sind die kuerzeren
Forschungsreisen die schwierigeren – zumindest wenn das Terrain noch unbekannt
ist. Glücklicherweise duerfen EthnologInnen aber mehr tun als nur Interviews
fuehren. Ich habe mich nach einer notwendig-langen Eingewoehnungsphase in
Geschaefte und zu den HaendlerInnen im Bazar gesetzt oder gestellt und den
ganzen Tag zugeschaut, manchmal verkauft, immer getratscht, mich solidarisch
mitempoert ueber SchuldensuenderInnen und gelangweilt. Als Kundin habe ich mich
hier und dort verschuldet – allerdings konnte ich dadurch nicht allzuviel
herausfinden, da niemand glaubte, dass ich nicht bezahlen wuerde - wobei auch
das eine wichtige Information ist. Mit der Zeit lernte ich die Preise fuer
Eingeweihte kennen und kann mittlerweile verhandeln, ohne entweder zu
beleidigen oder mehr als andere zu zahlen.
Darueber hinaus hat
sich die Methode „Rumhängen“ (Samuli Schielke) aeusserst bewährt: Ich habe
sehr viel Zeit damit verbracht, mit meiner Gastfamilie zu leben und zu
arbeiten, Kinder zu hüten, Gäste zu bewirten, Kartoffeln zu ernten, Schafe
herum zu treiben, Nachbarn zu besuchen, Wäsche zu waschen, Essen zu kochen
usw.
Etwas weit weg, aber immer frisch |
Vor allem mit
meiner Freundin und Gastschwester habe ich viel, viel Zeit verbracht: Sie war
die letzte Tochter, die noch zuhause wohnte. Drei Tage aber nach meiner Ankunft
heiratete sie und zog in das Haus der Familie ihres Ehemannes. Wenngleich ungeplant,
haette der Zeitpunkt kein besserer sein koennen, in den Worten meines
Gastvaters: „Aus Gottes Hand, eine Tochter ging, eine andere kam“. (Ich bin
nicht ganz sicher, ob die göttliche Fügung auch immer segenreich war;
insbesondere was die Elektrizitaetsversorgung des Hauses angeht, die ich
zweimal lahm gelegt habe. Ausserdem gehen drei Wasserkocher auf mein Konto). Da
ich ausserdem inmitten der aufwendigen Hochzeitsvorbereitungen anreiste, lernte
ich gleich zu Beginn alle Nachbarn und viele Verwandte kennen – besser gesagt:
sie mich, da ich in diesen ersten Tagen ziemlich ueberfordert war mit all den
Namen und Gesichtern und Zugehoerigkeiten... Mein Status als auswaertiger Gast
erlaubte es mir, meine Freundin bei Phasen der Heirat zu begleiten und zu
besuchen, von denen Familienangehoerige ihrerseits kategorisch ausgeschlossen
sind. So wurde ich in den folgenden Wochen von meinen Gasteltern zum Spion
ausgebildet, nach jedem meiner fast taeglichen Besuche bei ihrer Tochter galt
es detailliert Rapport zu erstatten: Wer war zuhause, wer nicht (wo war die-
oder derjenige?), welche Arbeit wurde erledigt, wie warm oder kalt war es im
Haus, was wurde gegessen, wo wurde gegessen, wer hat abgewaschen, wer den
Brotteig vorbereitet, was hat die Schwiegermutter gesagt und getan und ganz
wichtig: wie war der Ehemann gelaunt, hat er mit seiner Frau und mir
gesprochen, was hat er gesagt...
Anpassungsschwierigkeiten - auch nach 5 Monaten Höhentraining |