Dienstag, 18. Februar 2014

Tajikistan



T-Cell verspricht in Khorog 3 GB-fähiges W-lan-Internet. Trotzdem ist es gut Freunde an der University of Central Asia mit eigenem Büro und eigenem Computer und eigenem Kabelanschluss zu haben. Dort sitze ich nun und tippe... Denn: Khorog ist die Provinzhauptstadt des bergigen Gorno Badakhashans – ich aber lebe drei abenteuerliche Autostunden südlich von Khorog in Ishkoshim, dem Verwaltungszentrum des gleichnamigen Distrikts. Bis vor kurzem hat T-Cell, ein tuerkisches Telekommunikationsunter-nehmen, hier nichts anderes als Mobilfunknetz versprochen – ehrlicherweise. Nun aber gibt es einen neuen „T-Cell store“ und seitdem auch hier das bekannte wie beruechtigte Angebot von „3 GB Internet”. Die Ishkoshimi haben (noch) Hoffnung, dass der beeindruckende neue Ladenthresen – modisch  geschwungene fünf Meter Presspappe Made in China – das Versprechen einlösen hilft. „Wann?” frage ich den T-Cell-Mitarbeiter und Tanzpartner meinerseits bei einer der vielen Hochzeiten und Cousin des Ehemannes meiner Gastschwester. Er hat sich ihren Laptop samt neuem T-Cell-Internet-USB-Stick ausgeliehen, um ein wichtiges internes Firmendokument bis 12 Uhr Mitternacht zu versenden – das war gestern. Die neue analoge Praesenz von T-Cell selbst hat noch keinen Internetzugang. “Bald… das wird schon”, antwortet er. Gelassene Zuversicht ins Ungewisse, wie immer.

Ishkoshim Markaz


Es gab einmal ein Internetcafe in Ishkoshim, das auch tatsächlich funktionierte – zumindest in technischer Hinsicht (ich habe keine Ahnung wie). Was das Geschäftliche anging, lief es nicht so gut, obwohl die Rechnerplätze begehrt und immer besetzt waren. Das Problem lag, nach Erzählungen, eher in der hiesig üblichen, verzögerten Zahlungsweise, nach der Bezahlungen nicht nur vertagt werden, sondern eben auch vollständig ausfallen können. Es kommt darauf an… Und worauf es ankommt – das versuche ich heraus zu finden. Für das Internetcafe bedeutete es den finanziellen Bankrott und folglich sein Ende. Das scheint aber eher ein Einzelfall zu sein – vielleicht gab es auch andere Gründe, die den Betreiber zum Aufgeben zwangen... (Manche Gerüchte wollen es, dass die Zentralregierung die Kabel gekappt hat). Wie dem sei, der Einzelhandel im Distriktzentrum wie auch in den Doerfern im Wakhan flouriert, zumindest gemessen an der (relativ zu den EinwohnerInnen) hohen Anzahl von Geschaeften und manchem neuen Gelaendewagen aus Dubai; beides laesst sich durch lokal erworbene Kaufkraft und Konsumsehnsuechte allein nicht erklaeren. Eine Teilantwort liefert das Zauberwort „Rassia” und meint Geldüberführungen aus dem Ausland; neben anderen, weniger offiziellen Einkommensquellen traegt auch die zunaechst paradox erscheinende Tatsache ihren Anteil bei, dass die meisten Leute einerseits wenig Geld haben und andererseits einen Grossteil dessen, was sie fuer das taegliche Leben brauchen, kaufen muessen, und den vielen „Kammersand“ also Umsatz bescheren. ‘Kaufen’ klingt zunaechst nach dem banalen Vorgang, bei dem Geld gegen etwas Anderes getauscht wird (mal abgesehen von Währungstausch und Bankkrediten). In Ishkoshim findet dieser Tausch oft verzögert (oder nie: es kommt darauf an…) statt – man laesst gerne anschreiben. Mich interessiert nun, wie dieser ‘verzögerte Tausch’ organisiert ist, welche sozialen und moralischen Hebel am Werke sind, wer wem warum (nicht) Kredit gewährt, wer wen (nicht) darum bittet und ob und wie EinzelhändlerInnen an ihr Geld kommen, wenn Kunden untergetaucht oder gar flüchtig geworden sind usw. Urspruenglich hatte ich Anderes vor, aber wie das so sein soll in der Ethnologie, hat mir das Feld mein Thema zugewiesen: Es interessierte einfach niemanden, dass ich mich insbesondere für die Frauen, die im Bazar bzw. in den Geschäften arbeiten, interessierte – ich erhielt keine Antworten auf offenbar irrelevante Fragestellungen. Stattdessen zeigten mir viele HaendlerInnen ungefragt, aber umso aufgebrachter, ihre handgeschriebenen qarz-Buecher, in denen sie die Versaeumnisse ihrer KundInnen dokumentieren...

Marktstände in Ishkoshim Markaz


Mit einigen von euch teile ich die Erfahrung, schnell an die Grenzen der eigenen Sprachkenntnisse gelangt zu sein, was jedes weitere Vorankommen enorm erschwert. Trotz vorbereitendem Persischkurs ist das, was hier gesprochen wird, doch etwas ganz Anderes - aus verschiedenen Gruenden. Durchaus demoralisiert, begann ich also zunaechst die Sprache (neu) zu lernen. Das Resultat: Erst im zurueckliegenden Monat konnte ich Gespraeche mit Haendlerinnen, KundInnen und NachbarInnenn ohne Uebersetzungshilfe fuehren – zu einfachen Themen, vor allem den Handel betreffend.  Meinen Gastvater aber muss ich weiterhin regelmaessig enttaeuschen, wenn er mir wichtige Einsichten in den Lauf der Dinge und das Leben im Allgemeinen betreffend mitteilen will – nach ein paar Zitaten persischer Dichter bin ich hoffnungslos verloren... und bedauere dies sehr. Ich bin zwar schon besser darin geworden, die dialekt- und dentalbedingten Nuscheleien zu dekodieren und unausgesprochene Worthaelften gedanklich hinzuzufuegen - aber ich will gar nicht wissen, wieviel mir verloren gegangen ist! Immerhin nimmt er es mir nicht allzu uebel, auch wenn er sich keine Mühe gibt seine Enttäuschung ueber meine langsamen (?!) Fortschritte geheim zu halten; er haette soviel mit mir zu besprechen, wenn ich nur schneller waere...
Resumee zur Forschung: Vor allem was die Sprachkenntnisse angeht fuehle ich mich eigentlich erst jetzt im Stande, mein Thema gut bearbeiten zu können – einjährige Feldforschungen machen also definitiv Sinn... Wahrscheinlich sind die kuerzeren Forschungsreisen die schwierigeren – zumindest wenn das Terrain noch unbekannt ist. Glücklicherweise duerfen EthnologInnen aber mehr tun als nur Interviews fuehren. Ich habe mich nach einer notwendig-langen Eingewoehnungsphase in Geschaefte und zu den HaendlerInnen im Bazar gesetzt oder gestellt und den ganzen Tag zugeschaut, manchmal verkauft, immer getratscht, mich solidarisch mitempoert ueber SchuldensuenderInnen und gelangweilt. Als Kundin habe ich mich hier und dort verschuldet – allerdings konnte ich dadurch nicht allzuviel herausfinden, da niemand glaubte, dass ich nicht bezahlen wuerde - wobei auch das eine wichtige Information ist. Mit der Zeit lernte ich die Preise fuer Eingeweihte kennen und kann mittlerweile verhandeln, ohne entweder zu beleidigen oder mehr als andere zu zahlen.
Darueber hinaus hat sich die Methode „Rumhängen“ (Samuli Schielke) aeusserst bewährt: Ich habe sehr viel Zeit damit verbracht, mit meiner Gastfamilie zu leben und zu arbeiten, Kinder zu hüten, Gäste zu bewirten, Kartoffeln zu ernten, Schafe herum zu treiben, Nachbarn zu besuchen, Wäsche zu waschen, Essen zu kochen usw.

Etwas weit weg, aber immer frisch



Vor allem mit meiner Freundin und Gastschwester habe ich viel, viel Zeit verbracht: Sie war die letzte Tochter, die noch zuhause wohnte. Drei Tage aber nach meiner Ankunft heiratete sie und zog in das Haus der Familie ihres Ehemannes. Wenngleich ungeplant, haette der Zeitpunkt kein besserer sein koennen, in den Worten meines Gastvaters: „Aus Gottes Hand, eine Tochter ging, eine andere kam“. (Ich bin nicht ganz sicher, ob die göttliche Fügung auch immer segenreich war; insbesondere was die Elektrizitaetsversorgung des Hauses angeht, die ich zweimal lahm gelegt habe. Ausserdem gehen drei Wasserkocher auf mein Konto). Da ich ausserdem inmitten der aufwendigen Hochzeitsvorbereitungen anreiste, lernte ich gleich zu Beginn alle Nachbarn und viele Verwandte kennen – besser gesagt: sie mich, da ich in diesen ersten Tagen ziemlich ueberfordert war mit all den Namen und Gesichtern und Zugehoerigkeiten... Mein Status als auswaertiger Gast erlaubte es mir, meine Freundin bei Phasen der Heirat zu begleiten und zu besuchen, von denen Familienangehoerige ihrerseits kategorisch ausgeschlossen sind. So wurde ich in den folgenden Wochen von meinen Gasteltern zum Spion ausgebildet, nach jedem meiner fast taeglichen Besuche bei ihrer Tochter galt es detailliert Rapport zu erstatten: Wer war zuhause, wer nicht (wo war die- oder derjenige?), welche Arbeit wurde erledigt, wie warm oder kalt war es im Haus, was wurde gegessen, wo wurde gegessen, wer hat abgewaschen, wer den Brotteig vorbereitet, was hat die Schwiegermutter gesagt und getan und ganz wichtig: wie war der Ehemann gelaunt, hat er mit seiner Frau und mir gesprochen, was hat er gesagt...

Anpassungsschwierigkeiten - auch nach 5 Monaten Höhentraining





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