Sonntag, 03. November 2013
Windhoek, Namibia
Wenn der Ethnologe besser mitsingt –
Erfahrungen teilnehmender Beobachtung
von
Matthias Schulze
Erreicht man
nach gut 10-stündigem Direktflug den Internationalen Flughafen Windhoek, wird
der aussteigende Passagier von einem freundlich überschaubaren Flugfeld
empfangen. Kein Mega-Flughafen der Größenordnung Frankfurts, Paris oder
Londons. Eher provinziell wirkt es, wenn man über das Rollfeld läuft und zur
Passkontrolle weiterzieht. In der Warteschlange stehend, richten die
Angekommenen ihren Blick auf die notwendige Kontrolle ihrer Dokumente, die
Abholung ihres Gepäcks und die anschließende Weiterfahrt. Der Transit-Status,
die jeden Passagier gleichermaßen erfassende Liminalität soll ein Ende finden.
Den Raum des Übergangs – und Flughäfen sind solche Räume par exellence – möchte
man hinter sich wissen.
In dieser nur
allzu verständlichen Orientierung jedes Einzelnen, gerät ein Schriftzug über
den Haupteingang schnell aus dem Fokus der Aufmerksamkeit: Hosea Kutako
International Airport. Bei dem Namenspatron des Flughafens handelt es sich
um einen der profiliertesten Herero Paramount Chiefs des 20. Jahrhunderts,
einem der couragiertesten Wegbereiter und Gründerväter des unabhängigen
Namibias. Für den Eingeweihten ein erster Hinweis, wen es in der namibischen
Nation zu ehren, zu kennen und zu memorieren gilt.
Mit dem Taxi
geht es dann stadteinwärts weiter. Nach dem Ankommen gilt es, sich
zurechtzufinden, sich anzupassen – kulturell wie klimatisch. Für den urbanen Raum
Windhoek bedeutet dies auch an einem Medium der überlokalen Öffentlichkeit
teilzuhaben: der Zeitung. Umgerechnet für nur einige Cent zu erhalten, gerät
man in den Sog einer vielfältigen Zeitungslandschaft, die ihre Leser über die
neuesten nationalen, internationalen und lokalen Geschehnisse informiert hält.
Und mit einem Mal ist sie da, Schwarz auf Weiß: die postkoloniale
Symbolpolitik. Der Caprivi-Steifen im hohen Norden des Landes soll von
nun an Sambesi heißen – weg mit dem kaiserzeitlichen Fossil von
Reichskanzler. Genauso mit dem rund 800 Einwohner zählenden Schuckmannsburg: weg mit dem
historischen Ballast und her mit einem neuen Namen: Luhonono. Aber es
wird noch indigener: Lüderitz soll nun ǃnamiǂNûs heißen. Die in der ungewöhnlichen Schreibweise
angedeuteten Klicklaute des Khoekhoegowab der Nama zu beherrschen, versteht
sich von selbst.
Aus der Ferne
kommend, entwickelt man Sympathien für diese längst überfällig wirkenden
Benennungen. Ein postkolonial gesonnener Ethnologe ist geneigt, diese Re-Indigenisierung
von Ortsnamen zu begrüßen. Scheint es doch plausibel, das koloniale Erbe
endlich abzustreifen. Die Begründung ist nun mehr als offensichtlich.
Doch Widerstand
regt sich – von einer Seite, die nicht einkalkuliert wurde, aber bedeutend ist:
den Bewohnern. Die Menschen aus Luhonono bestehen darauf Schuckmannsburger
genannt zu werden. Eine Delegation der wichtigsten Chiefs der Sambesi-Region
war letzte Woche auf dem Weg nach Windhoek, wollte direkt zum Präsidenten
Hifikepunye Pohamba vorgeladen werden. Ihr Anliegen: Die Namensänderungen der
Region sollen rückgängig gemacht werden. In Lüderitz, nein ǃnamiǂNûs, dasselbe: Ein mehrheitlich von der
nicht-weißen Bevölkerung getragener Widerstand bricht sich Bahn: wütende
SMS-Kampagnen werden gestartet, empörte Facebook-Gruppen gegründet („Luderitz
Not Naminus“) und Gemeindetreffen einberaumt, hiesig auch gerne meetings
genannt. Man sei doch schließlich stolzer Buchter aus Lüderitz und nicht
ǃnamiǂNûs.
Die postkoloniale Symbolpolitik hat offenbar einen
sensiblen Nerv getroffen und außer Acht gelassen, dass Menschen sich mit einem
gegebenen Stadtnamen identifizieren können, dieser mitunter zu einem Fixpunkt
der eigenen Selbstverortung wird.
„Problematisch“, denkt der Ethnologe und betrachtet das
Geschehen mit einiger Verblüffung. Die neuerliche Symbol- und
Umbenennungspolitik der SWAPO, regierende Partei seit der namibischen
Unabhängigkeit von 1990, hat zwar im Vorfeld des Wahljahres 2014 an Fahrt
gewonnen, aber in welche Richtung fragt man sich nun?
Zeit für diese und ähnliche gedankliche Ausschweifungen
bleibt aber nicht. Es wartet ein Termin, den es wahrzunehmen gilt und die
eigene Untersuchungsgruppe betrifft: die Jahreshauptversammlung des Deutschen
Kulturrats in Windhoek. Zentrales Thema: die angedrohte Entfernung des
Reiterstandbilds im Herzen Windhoeks. 1912 eingeweiht, ist es seitdem einer der
Wahrzeichen dieser Stadt. Viele ranghohe Mitglieder der SWAPO, einschließlich
dem Präsidenten, ereifern sich aber an der kolonialen Bildsprache des nationalen
Monuments. Es soll weg. Deutschland könne den Reiter gerne wieder haben, aber
hier im schlagenden Herzen des Landes sei er provokativ und verletzend. Die
deutschsprachigen Namibier befinden sich erneut in der Defensive: manche
resignieren, manche fühlen sich ohnmächtig, manche blenden aus, manche
ignorieren, manche suchen den Ausgleich und manche schäumen vor Wut.
Die Versammlung tritt zusammen. Einige Dutzend
deutschsprachige Namibier warten, das es losgeht. Die Jahreshauptversammlung
wird wie alle anderen ablaufen. Das ist es, was die meisten im Saal denken,
einschließlich mir, dem interessierten Beobachter. Aber Irrungen sind ein ganz entscheidender
Teil des Lebens: Ein Konvoi fährt ein. Comrade Jerry Ekandjo, „Honourable Minister of
Youth, National
Service, Sport and Culture“ – ein SWAPO-Veteran der ersten
Stunde – betritt den Raum, sein
Beraterstab sowie Assoziierte im Anhang. Nach einer kurzen Einleitung, wie es
zu der erstmaligen Einladung in 23 Jahren kam, beginnt Herr Ekandjo seine eindringlich-versöhnliche
Rede. Zwei Stunden weicht er kaum vom Rednerpult, fordert die hiesigen
Deutschen zu mehr politischer Mitgestaltung Namibias auf, erklärt, dass es gute
und schlechte Vergangenheiten gäbe und
teilt die Versetzung des Reiterstandbilds in den Innenhof der Alten Feste mit.
Neben versöhnlichen Worten fallen auch mahnende, mitunter harte: Es gäbe viele
Deutsche, die nicht im Einklang mit den Prämissen des neuen Staates leben, sich
in ihrer eigenen Welt isolierten, ethnisch abschotteten und nicht einmal die
namibische Nationalhymne singen könnten.
Und da ist sie: Eine politisch sensible Situation, die
bis aufs Zerreißen gespannt ist. Die als abgegrenzt wahrgenommene
deutschsprachige Minderheit steht bei solch weitreichenden Vorwürfen unter
Handlungszwang, muss sich beweisen vor so hohem Besuch und zeigen, dass sie
Namibias würdig ist. Es geht um ihre Anerkennung und um einen gemeinsamen Platz
unter dem schützenden Dach der Nation.
Die Anwesenden
handeln: Sie beteuern, die Nationalhymne singen zu können und ihr Vorredner
besteht darauf am Ende der Diskussion, dies gemeinsam zu tun – aus voller
Brust. Am Ende der Diskussion wird das Versprechen eingelöst. Man stimmt sich
langsam ein.
Was tun als
Ethnologe, der aus schlechter Gewohnheit ausgerechnet in der ersten Reihe
sitzt? Der Kameramann des staatlichen Fernsehens richtet die Linse
erwartungsvoll in die sich erhebende Menge. Ich bin natürlich auch im Bild.
Dieselbe Menge setzt an. Wenig Zeit bleibt mir noch, bis es soweit ist.
Optionen werden geprüft: Nicht mitsingen wäre in dieser emotionsgesättigten
Situation denkbar unpassend. Als einziger im Raum nicht aufzustehen und
mitzusingen kommt nicht nur einer Missachtung wochenlanger Bemühungen und
langsamer Annäherungen des Vorstands des DKR's gleich, sondern verneint die
nationale Eintracht in einem Moment, wo sie am meisten einer symbolischen und
performativen Bestätigung benötigt.
Also gut.
Mitsingen. Aber wie? Ich bin doch kein Namibier, auch wenn das im Raum voller
Deutschsprachiger überhaupt nicht auffällt. Die Nationalhymne habe ich per
Zufall zweimal gelesen – leider nicht einprägsam genug, wie sich herausstellt.
Improvisation und unauffällige Beobachtung sind gefragt. Wie ist die Haltung
der Anderen, wo die Hände, was fixieren die Augen? Mimikry im Schnelldurchlauf.
Die eingenommene Haltung – beide Beine fest auf dem Boden, aufrechter Rücken,
Brust herausgestellt – soll Stolz vermitteln und der sich im Rhythmus öffnende
Mund Textkenntnis, nein Textsicherheit, suggerieren. Alle singen. Die Stimmen
füllen den Saal. Und nach einigen Minuten ist schließlich alles vorüber.
Sichtlich
zufrieden verlässt Herr Ekandjo mit seinem Stab das Gebäude. Ab jetzt ist
wieder Tagesordnung und man spürt die sich lösende Anspannung unter den
Anwesenden. Mir geht es nicht anders, obwohl ich kein Namibier bin.
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