„Und plötzlich
hatten wir 80 tamilische Brüder“ - Aus dem Alltag im Anbu Illam „Orphanage“
Ein bisschen abseits der eigentlichen Stadt Thanjavur, mit
dem großen Tempel, steht das Waisenhaus Anbu Illam, getragen von der Mother
Teresa Foundation. Um die 80 Jungs von 7 bis 20 Jahren, ein Großvater der jeden
Tag kocht, zwei Mütter, die als Freiwillige bei allem helfen - und wir, zwei
Freiwillige aus Deutschland, die – das sind die festen Bewohner und Mitarbeiter
in Anbu Illam.
Ein typischer Tag
beginnt für die Jungs schon um fünf Uhr, sie baden auf dem Dach, waschen ihre
Wäsche und ziehen ihre Schuluniform an. Ab halb sieben bis acht wird dann erst
einmal gelernt. Für uns beginnt der Tag
um 6:20, denn ab sieben geben wir den 6. bis 8. Standards Englisch Leseunterricht. „Kale Vanakkam“ Um acht Uhr gibt es
endlich Frühstück, das, wie jede Mahlzeit, aus Reis besteht. Auf die Frage „Sappidingla?“ – wir
verzichten. Denn zum Frühstück auch noch Reis essen geht gar nicht. Es
folgt das allmorgendliche Ritual an Schultagen, dass sich alle 3. bis 10.
Standards in Zweierpärchen in einen langen Zug aufstellen, was gar nicht
einfach scheint. Zur nahgelegenen Elementary und Highschool sind es nur knapp
10 Minuten zu laufen. Vor der Schule verabschieden sich die Jungs mit einem
winkenden „Bye, aakkaa!“*, und wir haben
den Vormittag für uns. Die älteren Jungs haben sich derweil schon
selbstständig zu ihren Schulen aufgemacht.
Zum Mittagessen sind die meisten wieder da, und dieses Mal essen wir mit ihnen –
Reis mit Sambar und einer täglichen Variation an Gemüse. An besonderen Tagen
wird das Essen auch mal gesponsert, dann gibt es eventuell zusätzlich
Nachttisch oder auch mal Fleisch. Bis um 16:30 sind die Jungs dann nochmal in
der Schule. Wir vertreiben uns die Zeit,
indem wir die Stadt erkunden oder auch mal Mittagsschlaf halten, denn vor allem
am Anfang mussten wir uns sehr an die dauernde Hitze gewöhnen.
„Male Vanakkam“ Wenn die
Jungs aus der Schule zurück sind, gehen sie erst einmal ausführlich Cricket
oder Fußball auf dem gegenüberliegenden Feld spielen. Da das Feld auch als
Straße dient, fährt auch ab und an ein Motorrad, Kleinbus oder Schulbus durch
das Spielfeld. Manchmal kommt eine Kuh durchs Bild gewackelt oder der
Cricketball fliegt in einen der Gräben,
der als Müllsammelplatz dient. Einmal geschah es, dass der fliegende
Cricketball in einer vorbeifahrenden Rickshaw landete und davonfuhr. Da
schauten die Jungs ganz schön doof aus der Wäsche, einer musste schließlich
hinterherrennen. Um fünf ist das Spielen vorbei, es wird gebadet, und dann gibt
es Chaia und Snacks.
Für uns oft der anstrengendste Teil des Tages, die „Studytime“ ist von
sechs bis acht. Nun müssen alle Jungs, nach Standards geordnet, Hausaufgaben
machen und lernen. Die Ältesten lernen für sich, die 8. bis 10. Standards haben
eigene Tutoren. Unsere Aufgabe ist es,
die allerjüngsten 3. bis 6. Standards zu beaufsichtigen und oft zu
beschäftigen. Dabei lieben sie es, wenn wir für sie malen und zeichnen oder
anders herum.
Da es eine christlich orientierte Einrichtung ist, wird von
acht bis kurz vor neun täglich der Rosenkranz gebetet. Auch vor dem Lernen und
dem Essen gibt es stets ein Gebet. Dann gibt es Abendessen, die einzige
Mahlzeit, wo wirklich alle Jungs zusammen Essen – wieder Reis mit Sambar und Gemüse.
Wenn wir einmal nicht mitessen, weil wir
zu viel von Reis haben, folgt die sorgenvolle Frage ob wir denn krank seien. Hat
einer der Jungs Geburtstag, was mindestens einmal die Woche vorkommt, gibt es
davor noch Kuchen und es wird gesungen. Als
große Schwestern dürfen auch wir dem Geburtstagskind ein Stück Kuchen füttern.
Es folgt die schönste Stunde des Abends, die „Gamestime“. In dieser albern wir ausgelassen mit den
Kleinen und Großen herum, besonders auf Kitzeln und Daumenwrestling fahren sie
voll ab. Wir spielen viele Runden Uno, Karambol oder Romie mit ihnen. Bekommen
auch ab und an indische Filmsongs vorgesungen, u.a. „Why this kolaveri“ oder
sie zeigen uns, wie Tamilen in der Disco tanzen. Um kurz nach zehn müssen
schon alle ins Bett außer die Ältesten, die noch fleißig Lernen – „Iravu vanakkam – Good night“!
So schön es hier auch sein mag, es gibt auch einige
Schwierigkeiten:
„Lost in translation“ scheint hier unser tägliches Motto zu
sein. Wir können zwar ziemlich gut Englisch, aber die Jungs, vor allem die ganz
kleinen, können dies so gut wie gar nicht. Auch mit den ältesten Jungs gibt es
ab und an Kommunikationsschwierigkeiten und es kann, für beide Seiten, ganz
schön frustrierend sein, wenn der andere einen nicht versteht. Sprache ist
unglaublich wichtig!
Wir mussten auch feststellen, dass es ganz schön
nervenaufreibend sein kann jeden Tag immer dasselbe (Reis) zu essen. Man fängt
an, das Essen zu Hause zu vermissen. Deswegen gehen wir auch einmal in der
Woche auswärts essen, damit uns der Reis nicht irgendwann aus den Ohren heraus
quillt.
Was wir uns hier immer sicher sein können:
Ist die Tür unseres kleinen Zimmers offen, das immer zwei
drei Köpfe reinschauen, um zu fragen was wir machen.
Das sich unsere Kameras größter Beliebtheit erfreuen, und wir
sie mit vielen Poser-Fotos zurückbekommen.
Das wir, egal was wir machen, stets von zehn großen und
kleinen, liebenswerten, fröhlichen und neugierigen Jungs umgeben sind!
*„Baaaye, Mariakka, Roxannakka!“ – „Baaaye!!“ – „No, you’re not boy, you’re a girl“ – „Okay, then tschus –ade.“
- Es berichteten Roxanna und Maria aus Thanjavur, Tamil Nadu - Indien
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