Sonntag, 17. November 2013

Roxanna und Maria - Tamil Nadu, Indien



„Und plötzlich hatten wir 80 tamilische Brüder“ - Aus dem Alltag im Anbu Illam „Orphanage“

Ein bisschen abseits der eigentlichen Stadt Thanjavur, mit dem großen Tempel, steht das Waisenhaus Anbu Illam, getragen von der Mother Teresa Foundation. Um die 80 Jungs von 7 bis 20 Jahren, ein Großvater der jeden Tag kocht, zwei Mütter, die als Freiwillige bei allem helfen - und wir, zwei Freiwillige aus Deutschland, die – das sind die festen Bewohner und Mitarbeiter in Anbu Illam.  


Ein typischer Tag beginnt für die Jungs schon um fünf Uhr, sie baden auf dem Dach, waschen ihre Wäsche und ziehen ihre Schuluniform an. Ab halb sieben bis acht wird dann erst einmal gelernt. Für uns beginnt der Tag um 6:20, denn ab sieben geben wir den 6. bis 8. Standards Englisch Leseunterricht. „Kale Vanakkam“ Um acht Uhr gibt es endlich Frühstück, das, wie jede Mahlzeit, aus Reis besteht. Auf die Frage „Sappidingla?“ – wir verzichten. Denn zum Frühstück auch noch Reis essen geht gar nicht. Es folgt das allmorgendliche Ritual an Schultagen, dass sich alle 3. bis 10. Standards in Zweierpärchen in einen langen Zug aufstellen, was gar nicht einfach scheint. Zur nahgelegenen Elementary und Highschool sind es nur knapp 10 Minuten zu laufen. Vor der Schule verabschieden sich die Jungs mit einem winkenden „Bye, aakkaa!“*, und wir haben den Vormittag für uns. Die älteren Jungs haben sich derweil schon selbstständig zu ihren Schulen aufgemacht.
Zum Mittagessen sind die meisten wieder da, und dieses Mal essen wir mit ihnen – Reis mit Sambar und einer täglichen Variation an Gemüse. An besonderen Tagen wird das Essen auch mal gesponsert, dann gibt es eventuell zusätzlich Nachttisch oder auch mal Fleisch. Bis um 16:30 sind die Jungs dann nochmal in der Schule. Wir vertreiben uns die Zeit, indem wir die Stadt erkunden oder auch mal Mittagsschlaf halten, denn vor allem am Anfang mussten wir uns sehr an die dauernde Hitze gewöhnen.  



 „Male Vanakkam“ Wenn die Jungs aus der Schule zurück sind, gehen sie erst einmal ausführlich Cricket oder Fußball auf dem gegenüberliegenden Feld spielen. Da das Feld auch als Straße dient, fährt auch ab und an ein Motorrad, Kleinbus oder Schulbus durch das Spielfeld. Manchmal kommt eine Kuh durchs Bild gewackelt oder der Cricketball fliegt in  einen der Gräben, der als Müllsammelplatz dient. Einmal geschah es, dass der fliegende Cricketball in einer vorbeifahrenden Rickshaw landete und davonfuhr. Da schauten die Jungs ganz schön doof aus der Wäsche, einer musste schließlich hinterherrennen. Um fünf ist das Spielen vorbei, es wird gebadet, und dann gibt es Chaia und Snacks.
Für uns oft der anstrengendste Teil des Tages, die „Studytime“ ist von sechs bis acht. Nun müssen alle Jungs, nach Standards geordnet, Hausaufgaben machen und lernen. Die Ältesten lernen für sich, die 8. bis 10. Standards haben eigene Tutoren. Unsere Aufgabe ist es, die allerjüngsten 3. bis 6. Standards zu beaufsichtigen und oft zu beschäftigen. Dabei lieben sie es, wenn wir für sie malen und zeichnen oder anders herum.
Da es eine christlich orientierte Einrichtung ist, wird von acht bis kurz vor neun täglich der Rosenkranz gebetet. Auch vor dem Lernen und dem Essen gibt es stets ein Gebet. Dann gibt es Abendessen, die einzige Mahlzeit, wo wirklich alle Jungs zusammen Essen – wieder Reis mit Sambar und Gemüse. Wenn wir einmal nicht mitessen, weil wir zu viel von Reis haben, folgt die sorgenvolle Frage ob wir denn krank seien. Hat einer der Jungs Geburtstag, was mindestens einmal die Woche vorkommt, gibt es davor noch Kuchen und es wird gesungen. Als große Schwestern dürfen auch wir dem Geburtstagskind ein Stück Kuchen füttern.
Es folgt die schönste Stunde des Abends, die „Gamestime“. In dieser albern wir ausgelassen mit den Kleinen und Großen herum, besonders auf Kitzeln und Daumenwrestling fahren sie voll ab. Wir spielen viele Runden Uno, Karambol oder Romie mit ihnen. Bekommen auch ab und an indische Filmsongs vorgesungen, u.a. „Why this kolaveri“ oder sie zeigen uns, wie Tamilen in der Disco tanzen. Um kurz nach zehn müssen schon alle ins Bett außer die Ältesten, die noch fleißig Lernen – „Iravu vanakkam – Good night“!

So schön es hier auch sein mag, es gibt auch einige Schwierigkeiten:
„Lost in translation“ scheint hier unser tägliches Motto zu sein. Wir können zwar ziemlich gut Englisch, aber die Jungs, vor allem die ganz kleinen, können dies so gut wie gar nicht. Auch mit den ältesten Jungs gibt es ab und an Kommunikationsschwierigkeiten und es kann, für beide Seiten, ganz schön frustrierend sein, wenn der andere einen nicht versteht. Sprache ist unglaublich wichtig!
Wir mussten auch feststellen, dass es ganz schön nervenaufreibend sein kann jeden Tag immer dasselbe (Reis) zu essen. Man fängt an, das Essen zu Hause zu vermissen. Deswegen gehen wir auch einmal in der Woche auswärts essen, damit uns der Reis nicht irgendwann aus den Ohren heraus quillt.
Was wir uns hier immer sicher sein können:
Ist die Tür unseres kleinen Zimmers offen, das immer zwei drei Köpfe reinschauen, um zu fragen was wir machen.
Das sich unsere Kameras größter Beliebtheit erfreuen, und wir sie mit vielen Poser-Fotos zurückbekommen.
Das wir, egal was wir machen, stets von zehn großen und kleinen, liebenswerten, fröhlichen und neugierigen Jungs umgeben sind!
*„Baaaye, Mariakka, Roxannakka!“ – „Baaaye!!“ – „No, you’re not boy, you’re a girl“ – „Okay, then tschus –ade.“
- Es berichteten Roxanna und Maria aus Thanjavur, Tamil Nadu - Indien

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