Dienstag, 28. Januar 2014

Florian Eitzenberger - Taiwan


Mobilitätssemester in Taipei von September 2013 bis Februar 2014

Nun bin ich bereits seit 5 Monaten auf der Insel Taiwan in meinem Mobilitätssemester. Die Zeit verging bisher wie im Flug und ich kann es gar nicht fassen, dass ich diesen Ort, der mir inzwischen schon so vertraut geworden und auch ans Herz gewachsen ist, schon bald wieder verlassen muss. 

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Bildquelle: http://taiwantravelblog.com/10-things-you-need-to-know-about-taiwan/
Taiwan ist eine Insel im West-Pazifik vor dem chinesischen Festland und gehört zur demokratischen Republik China. Diese ist nicht zu verwechseln mit der von Mao Zedong gegründeten kommunistischen Volksrepublik China. Relativ schnell kommt man auf Taiwan mit der zum Teil etwas verwirrenden Vergangenheit in Kontakt, zum Beispiel, wenn man auf seinem Studentenausweis oder in anderen staatlichen Dokumenten sein Geburtsdatum in der Zeitrechnung der Republik vorfindet. So befindet sich Taiwan jetzt im Jahr 103 nach dem Ende des chinesischen Kaiserreiches und der Gründung der Republik in China 1912. Die Insel Taiwan, die bis 1945 japanisches Kolonialgebiet war, kam erst nach dem 2. Weltkrieg zurück in das Herrschaftsgebiet der Republik und diente der regierenden Partei Guomindang dann 1949 mit dem Sieg Mao Zedongs und der kommunistischen Partei als Rückzugsgebiet. Das hat zur Folge, dass der rechtliche Status von Taiwan bis heute ungeklärt ist, da die Volksrepublik China auf dem Festland Taiwan als abtrünnige Provinz sieht, während sich die Republik China auf Taiwan als souveränen Staat proklamiert.

Blick vom Universitätscampus aus
Nachdem ich 2012 bereits an einer Chinese Language and Culture Summerschool in Taiwan teilgenommen hatte, erwartete mich bei meiner Ankunft keine gänzlich neue Welt für mich, sondern vielmehr das vertraute Gesicht einer taiwanischen Freundin, die mich am hoffnungslos unterkühlten Flughafen in Taipei empfing. Ich war am Morgen meines Abfluges von Deutschland mit Schüttelfrost und Fieber aufgewacht und hatte nun die 23 Stunden Reise mit Schmerzmitteln überstanden. Bereits an meinem dritten Tag fing mein Vollzeit-Chinesisch-Sprachkurs an der National Cheng Chi University in Taipei an und so blieb wenig Zeit zum Auskurieren. Das Wohnheim, in dem ich untergebracht bin, hat, wie ich schon von meinem ersten Aufenthalt wusste, keine Küche. Kochen ist in Taiwan tatsächlich etwas vollkommen Unnötiges. Essen gibt es hier rund um die Uhr an jeder Straßenecke und nach günstigen Restaurants muss man nicht lange Ausschau halten. Nicht wenige Studenten in Taiwan hatten wohl noch nie einen Kochlöffel in der Hand und machen sich noch eher über einen lustig, wenn man versucht selbst etwas zuzubereiten. Am Abend geht man nicht selten auf die unzähligen Nightmarkets in der Stadt. Eine Ansammlung von Essensständen mit allerlei Leckereien und oft auch Skurrilem, wie zum Beispiel Stinktofu oder fermentiertem Ei.
Im Großen und Ganzen lässt sich feststellen, dass für uns Europäer das Auge doch wesentlich öfter mitisst als für die Taiwaner. Viele Gerichte sehen unappetitlich oder wenig liebevoll auf den Teller geworfen aus, schmecken jedoch wenn man sie erst einmal probiert ausgezeichnet. Einzig einen Mülleimer findet man selten, weswegen man meist den ganzen Abend mit leeren Tüten und Abfall in der Hand herumläuft. Dennoch überlegt man es sich zweimal irgendwo seinen Müll hinzuwerfen, da man beim Anblick der pflichtbewussten Taiwaner doch gar zu schnell ein schlechtes Gewissen bekommen würde. 
So kann man die Taiwaner im Allgemeinen doch als sehr mitmenschlich bezeichnen: Kein Gedränge in der U-Bahn, kein Vordrängeln an Essensständen, umfassende Entschuldigungen bei versehentlichem Anrempeln, unglaublich hilfsbereit und zuvorkommend. Da passiert es einem leicht einmal, dass man, wenn man nach dem Weg fragt, gleich die ganze Strecke begleitet wird oder, dass man, wenn man gerade verloren irgendwo umherirrt, einfach per Anhalter zur nächsten U-Bahn-Haltestelle gefahren, davor aber noch zum Abendessen eingeladen wird. Dementsprechend habe ich hier doch oft das Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein, die Taiwan bewohnt.
Meine Freundin und ich am Chiang Kai-Shek Memorial
Dieses außerordentlich heimische Gefühl hat sich bei mir allerdings erst mit dem Erlernen und Benutzen der chinesischen Sprache herausgebildet. Nach etwa 2 Monaten täglichem Sprachkurs konnte ich schon deutliche Fortschritte in meinem Chinesisch feststellen und ich merkte, wie man plötzlich ganz anders in dieser fremden Kultur agieren kann und Erfahrungen macht, die einem sonst verborgen geblieben wären. Meiner Meinung nach bekommt man mit dem Erlernen der Sprache auch mehr Verständnis für das Verhalten der Leute und das alltägliche Miteinander. Nach und nach kann man Speisekarten, Straßenschilder, Busdurchsagen oder Taiwaner im Gespräch verstehen und die Kultur damit besser kennenlernen. 

Am Zhinan-Tempel
Der Sprachkurs nimmt jedoch sehr viel Zeit in Anspruch. Da blieb insbesondere am Anfang wirklich wenig Freiraum mich einmal mit meinem geplanten Studienprojekt mit dem Thema „Pilgerschaft zum Zhinan-Tempel“ zu beschäftigen. Der Zhinan-Tempel ist Taiwans berühmtester taoistischer Tempel und ist relativ nahe an meiner Uni gelegen. Als ich den Tempel das erste Mal mit einer anderen Austauschstudentin besuchte, wurden wir gleich von einer alten buckligen Frau empfangen, die uns jeweils drei entzündete Räucherstäbchen in die Hand drückte, durch die ganze Tempelanlage führte und uns bei jeder mehr oder weniger berühmten Gottheit aufforderte uns dreimal zu verbeugen. Nach gefühlten 50 Verbeugungen durften wir die Räucherstäbchen dann auch in eine Schale stecken und die Frau abwimmeln, die uns nun Anhänger mit der Tempelgottheit verkaufen wollte. Mit meinem Chinesisch versuchte ich dann schon bald ein paar Tempelangestellte zu genaueren Abläufen und Einzelheiten im Tempel zu befragen, merkte jedoch schnell, dass zwar meine Fragen verstanden wurden, mein Chinesisch aber bei Weitem noch nicht ausreichte, um die speziellen Begriffe im Tempelvokabular zu verstehen und bei den allgemeinen Antworten genauer nachzuhaken. 
Von Deutschland aus hatte ich bereits Kontakt mit einer amerikanischen Sozialwissenschaftlerin namens Linda hergestellt, die sich insbesondere auch mit Religion in Taiwan befasst hat und des Öfteren den Zhinan-Tempel besucht. Sie machte mich mit einer Art Schamanen oder auch Medium (über die Definition bin ich mir noch nicht sicher) im Tempel bekannt, der für die Tempelpilger Probleme löst, einen Blick in die Zukunft wirft oder spezielle Rituale für sie ausführt. Ich komme nun öfter in den Tempel, um die Leute anzusehen, die ihn besuchen und die Rituale, die er ausführt, um ihnen zu helfen. Leider kann ich sein Chinesisch fast gar nicht verstehen, weswegen mir zuerst von einer Tempelangestellten von Chinesisch in Chinesisch übersetzt wurde. Da das aber auch nicht das Gelbe vom Ei war, bat ich Linda um Hilfe mir beim Führen von Interviews zu helfen. Bereits beim ersten Interview erzählte uns der Meister, dass er sich nun in seiner 11. Inkarnation auf der Erde befinde und bereits im Alter von 3 Jahren sein Schicksal und den Sinn seines Lebens wusste, dass dazu bestimmt sei anderen Menschen zu helfen.
In etwa zur gleichen Zeit bemerkte ich eines Abends Vorbereitungen einer großen Feier in einem Tempel gleich neben meiner Unterkunft. Ich erkundigte mich daraufhin um welche Feierlichkeiten es sich handelt und erfuhr, dass am nächsten Tag der Geburtstag des Tempelgottes sei und Priester engagiert wurden, die spezielle Rituale dafür ausführen sollten. Als ich am nächsten Tag den Tempel besuchte,  bekam ich am späten Nachmittag eine Schamanin oder weibliches Medium zu Gesicht, das sich komplett anders präsentierte als der Meister im Zhinan-Tempel. Ihre Augen waren von einer Augenbinde verdeckt und sie sprach mit einer tiefen Stimme. Der Stimme des Tempelgottes. Ich merkte, dass sich mein Studienprojekt in eine ganz bestimmte Richtung zu entwickeln schien, nämlich in die des Schamanismus.

Nun bin ich bereits fast am Ende meines Aufenthalts angelangt und habe schon ein paar Interviews und unzählige Eindrücke im Rucksack, den ich mit mir zurück nach Tübingen nehmen werde. Die Erlebnisse und Erfahrungen eines Auslandsaufenthalts sind wirklich horizonterweiternd. Ich möchte keinen Moment davon missen und freue mich schon auf die Entdeckungen, die noch vor mir liegen.

Florian Eitzenberger
Januar 2014

Blick auf den Taipei 101 vom Xiangshan aus



Mittwoch, 8. Januar 2014

Bettina Schlüter - Galle, Sri Lanka


Bettina Schlüter - Galle, Sri Lanka

 vom 04.09.13 bis 03.03.14


Seit September bin ich in Sri Lanka. Es ist bereits mein zweiter längerer Aufenthalt auf der Insel. Dementsprechend kurz war meine Eingewöhnungszeit, um mich gut durch den Alltag zu bewegen. Ich kenne viele der Gegebenheiten hier, der Besonderheiten und der Gewohnheiten. 



Ich reise mit einem Rucksack an, der gefüllt ist mit den Erfahrungen vom letzten Mal. Er liegt mir leicht auf der Schulter, fühlt sich angenehm und vertraut an. Ich freue mich und fühle mich gut vorbereitet. Die ersten Kontakte stehen und ich schlage meine Zelte in Galle an der Südküste Sri Lankas auf.

Sri Lanka – die Perle des Indischen Ozeans
Sri Lanka – die Träne des Indischen Ozeans


Sri Lanka ist ein wahnsinnig schönes Land und ausgesprochen vielfältig. Paradiesische Strände schmücken die Küstenstreifen, saftig grüne Teeplantagen umkleiden die Hügel des Inlands. Eine Fahrt durch das Landesinnere gleicht einem Streifzug durch einen tropischen botanischen Garten. Das, was wir nur in seiner fertigen, eingepackten, verarbeiteten Form kennen, wächst hier am Straßenrand: Zimt, Koriander, Pfeffer, Curry, Cardamom. Mangos, Papayas und Kokosnüsse wachsen in so ziemlich jedem Garten.



Aber nicht nur landschaftlich, sondern auch kulturell ist Sri Lanka ein reiches Land. Man kann durch Ruinen alter Königsstätte spazieren, buddhistische Pilgerstätten besuchen und sich von hinduistischen Tempeln in den Bann ziehen lassen. Die Alphabetisierungsrate liegt bei über 90 Prozent, die medizinische Versorgung in den urbanen Zentren ist auf einem hohen Niveau und seit dem Kriegsende 2009 hat es keine Terroranschläge mehr gegeben.


Das ist Sri Lanka, die „Perle des indischen Ozeans“.


Doch 30 Jahre Bürgerkrieg und nicht zuletzt der Tsunami 2004 gingen natürlich nicht spurlos an diesem Land vorbei. Manche dieser Spuren, wie die Ruinen der zerstörten Gebäude, sind deutlich zu erkennen. Andere Spuren wie strukturelle Probleme und psychische Erkrankungen liegen mehr im Verborgenen.
Kontinuierlich steigen die Lebensmittelpreise während die Löhne stagnieren.
Die Arbeitsmöglichkeiten sind im Land sehr ungleich verteilt. Alkoholmissbrauch ist allgegenwärtig. Es herrscht großes
Misstrauen unter den BewohnerInnen und es gibt nach wie vor Spannungen zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen und innerhalb der Gruppen. Der Präsident schmückt sich mit den Lorbeeren, die er für die Beendigung des Krieges erhielt und zu viele Leute ignorieren seine undemokratischen Machenschaften. Unabhängige Beobachter äußern sich besorgt über die Menschenrechtssituation auf der Insel, beklagen das hohe Maß an Korruption und blicken mit Sorge Richtung Zukunft.


 Das ist Sri Lanka, die „Träne des Indischen Ozeans“


Mein Alltag findet meistens auf der Perlen-Seite statt. Ich habe hier insgesamt ein sehr ausgeglichenes, stressfreies Leben. Ich würde zwar nicht unbedingt für immer in Sri Lanka leben wollen, aber für einen mehrmonatigen Aufenthalt kann ich mich mit der Insel sehr anfreunden. Ich habe meine eigenen vier Wände, einen fahrbaren Untersatz und Freunde, auf die ich mich verlassen kann, sollte irgend etwas schief laufen. Mit meinen (rudimentären) Singhalesisch-Kenntnissen kann ich auch dem größten Miesepeter ein Lächeln entlocken. Regelmäßig werde ich auf Spaziergängen durch meine Wohngegend auf Tee, Kekse, Banane, Reis und alles andere, was der Haushalt gerade hergibt, eingeladen. Auch wenn ich nur kurz meine Miete vorbeibringen möchte, finde ich mich im nächsten Moment mit Papaya- Stücken in der einen und Teetasse in der anderen Hand im Wohnzimmer der Vermieter und gucke gemeinsam eine Art „Sri Lanka sucht den Superstar“.


Meine Forschung hingegen würde ich der Tränen-Seite zuordnen. Ich beschäftige mich mit jenen Frauen, die aus Sri Lanka in die Golfstaaten migrieren, um dort zu arbeiten. Der Bedarf an ungelernten Arbeitskräften aus den Billiglohnländern Asiens ist groß in den Ölländern. Während die Männer für gewöhnlich auf dem Bau schuften, leiden die Frauen unter genauso miesen Arbeitsbedingungen als Haushaltshilfen in den arabischen Familien. Die meisten haben keinen freien Tag in der Woche und arbeiten teilweise 14, 16, 18 Stunden am Stück. Manche haben Glück und bekommen das versprochene Gehalt, das sie in ein neues Leben in Sri Lanka investieren können – sofern der Ehemann das Geld nicht versäuft oder es sich entfernte Verwandte nicht unter den Nagel reißen. Andere haben nicht so viel Glück und bekommen nur einen Teil dessen, was ihnen versprochen wurde. Nicht selten kehren die Frauen verschuldet zurück und stehen am Ende sogar noch schlechter da als am Anfang, weil der Mann eine andere Frau gefunden hat, weil die Kinder psychisch krank geworden sind oder weil die Frau missbraucht wurde und nun schwanger zurückkehrt. Diese Probleme sind bekannt und dennoch migrieren rund 10 % der Sri Lankerinnen im erwerbsfähigen Alter.

Dies ist natürlich kein einfaches Forschungsthema. Aber gibt es das überhaupt? Eine einfache
Forschung? Dadurch, dass hier jeder irgendeine Frau kennt, die in den Golfstaaten war und dadurch, dass ich gute Kontakte zu Organisationen habe, die sich mit der Situation dieser Frauen befassen, komme auch ich mit Rückkehrerinnen in Kontakt. Das ist erfreulich. Aber es gibt ein großes Problem: die Sprache.

Mittlerweile spreche ich zwar etwas Singhalesisch und kann meinen Alltag in dieser Sprache bewältigen, aber für ein vernünftiges Interview ist es so ganz und gar nicht ausreichend. Ich brauche eine Person, die für mich übersetzen kann. Das sollte am besten eine Frau sein. Sie muss natürlich gut englisch sprechen können, sie muss Zeit haben, sie muss sich „frei“ bewegen können, sie muss vertrauenswürdig sein und ich muss sie mir leisten können. Ich hatte schon das ein oder andere kleinere Erfolgserlebnis in der Richtung, doch immer kam etwas dazwischen. D.h., es kam nicht unbedingt etwas dazwischen, sondern die Übersetzerin kam nicht, oder die Informantin, oder beide.



International Migrant`s Day in Colombo

Programm für Kinder der Migrantinnen in Galle
Ich kann hier nicht damit rechnen, dass die Dinge so laufen wie geplant. Auch bei Caritas, mit denen ich hier zusammenarbeite, gibt es ständig Terminänderungen. Manchmal, weil „überraschenderweise“ auf einmal nicht mehr genug Geld da ist, um das geplante Programm durchzuführen, manchmal weil die Kollegin zum Jobinterview in Colombo ist, manchmal weil das nötige Fahrzeug nicht zur Verfügung steht, manchmal aufgrund von Kommunikationsproblemen, manchmal.... es gibt immer einen Grund.

Aber so ist das Forschen – zumindest nach meiner Erfahrung. Es ist ein ständiger Wechsel zwischen Erfolg und Misserfolg, Motivation und Unmut geben sich gegenseitig die Klinke in die Hand, Daten werden erhoben und stellen sich dann als nicht verwendbar heraus. Mal läuft es gut, mal läuft es schlecht.

Noch fehlen mir einige Daten, die ich für eine erfolgreiche Forschung als elementar betrachte, aber dennoch fällt mein Zwischenfazit positiv aus. Dank der Hilfe von Caritas und meiner freundlichen Kollegen wurde ich bereits zu sämtlichen Trainings, Meetings, Demonstrationen, Dorfbesuchen etc. mitgenommen und habe einige Frauen kennengelernt, die in den Golfstaaten waren. Das Problem mit der Sprache nervt nach wie vor, aber noch ist nicht aller Tage Abend. Und vielleicht ergibt sich genau bei der Tasse Tee zu „Sri Lanka sucht den Superstar“ jener rettende Kontakt, der mir bislang noch fehlt.



Dienstag, 7. Januar 2014

Heather Attwood - Neu-Delhi, Indien



Welcome to an indian winterwonderland


Auslandssemester in Neu-Delhi vom 26.September 2013 – 30. Januar 2014.

Meine Reise in das indische Winterwunderland begann am 25. September 2013 – nun ja, eigentlich begann die Reise da erst in das indische Wunderland. Am 26. September erreichte ich die Hauptstadt Neu-Delhi am frühen Morgen und erlebte somit gleich das Erwachen der Stadt. Trotz der ungewohnten Umgebung und der vielen, Vielen, VIELEN Menschen war ich recht ruhig geblieben und weniger überfordert als ich erwartet hatte. Nach vier Tagen Eingewöhnungszeit und viel Schlaf fuhr ich das erste Mal alleine mit der Autorikscha zur Arbeit. 

Ich arbeite in einem Kinderheim für Kinder, die nach dem Juvenile Justice Act 2000 als „in need of care and protection“ bezeichnet werden. Das bedeutet, dass die Kinder von ihren Eltern nicht versorgt werden können, sei es finanziell oder weil ihre Eltern sie missbraucht haben oder aus anderen Gründen. Es gibt unzählige unterschiedliche Fälle mit einer Gemeinsamkeit – sie sind keine Waisen und können nicht adoptiert werden. Die NGO (Nicht-Regierungs-Organisation) besteht aus einer indischen und einer französischen Organisation, die gemeinsam das Projekt „Tara“ verwalten. „Tara“ ist Hindi und bedeutet übersetzt „Stern“. Tara besteht wiederum aus zwei Kinderheimen. Das erste wurde 2008 gegründet und heißt Tara Boys. Es ist ein Heim für Jungs zwischen 6 und 18 Jahren. Das zweite Heim, Tara Tots, wurde 2011 gegründet. Hier wohnen momentan 18 Kinder zwischen 2 und 10 Jahren. Beide Heime sind für maximal 20 Kinder ausgestattet. Pascal Fautrat, der Initiator und Gründer der Organisation, erklärt dies anhand eines Prinzips aus der Sozialarbeit. Es gibt eine sogenannte kritische Masse (critical mass), ab der es unmöglich wird, Gewaltsituationen zu vermeiden und zu kontrollieren. Für Tara liegt diese kritische Masse bei 20, da die gegebenen Kapazitäten (Größe der Wohnung, Anzahl der Mitarbeiter, Lebensstandard etc.) bis zu dieser Zahl finanziell bewältigt werden können. Die Ziele sind zunächst, Sicherheit zu schaffen, jedem Kind eine sehr gute Bildung zu ermöglichen und diese in einer familienähnlichen Umgebung umzusetzen. Erreicht wird dies durch die Begrenzung der Heime auf 20 Kinder pro Heim, die Ermöglichung des Schulbesuchs bei den renommiertesten Privatschulen in Delhi sowie der Auswahl der sichersten (und somit auch teuersten) Wohngegend in Delhi.

Mehr zur Organisation findet ihr auf www.taraindia.org.

Recht schnell fand ich meinen Platz in der Organisation und konnte viele Baustellen herausarbeiten und bearbeiten. Ich wurde auch sehr schnell von allen akzeptiert und integriert. Dabei habe ich viel Verantwortung zugesprochen bekommen. Mittlerweile arbeite ich in den meisten Bereichen des Heimes mit, sei es bei der Personalplanung und Entwicklung, Buchhaltung, Verwaltung des Tagesablaufs, psychischer sowie physischer Gesundheit der Kinder und vieles mehr.
So vergingen zwei Monate bis der erste Dezember vor der Tür stand. Diesen verbrachte ich mit meinem Freund und Kommilitonen und Kommilitoninnen am heißen Strand von Varkala bis in die späten Abendstunden. Ein etwas anderer Start in die Winter-Weihnachtszeit als im gewohnten Deutschland, wo ich zu dieser Jahreszeit für gewöhnlich mit einer Tasse heißer Schokolade in eine Decke eingekuschelt wäre. Am 2. Dezember endete die Reise in den Süden und ich flog wieder in das „kalte“ Delhi – bei 15-20°C tagsüber. Für mich ging die Reise jedoch kurz darauf weiter. Zunächst mit meinem Freund nach Agra und Jaipur für ein paar Tage – wieder in die Wärme – und gleich darauf nach Nepal – wieder in die Kälte.

Ein sehr physisch, teils auch psychisch, strapazierender Winteranfang, der sich dann auch in einer langanhaltenden Sinusinfektion äußerte. Trotz der Erkältung habe ich mit meiner Schwester in Nepal zehn wunderschöne und kalte Tage verbracht. Aufgewärmt wurden wir täglich von zehn Tassen MasalaChai für umgerechnet 20-30 Cent pro Tasse.


Die nepalesische Kultur mit ihrer ruhigen und sehr gelassenen Lebenseinstellung haben wir auch nur zu gut kennen gelernt. Meine Schwester arbeitete ebenfalls in einem Kinderheim und somit hatte ich einen direkten Vergleich zwischen dem indischen und nepalesischen System. Von einem wundervollen Paar gegründet und geleitet, jedoch in finanzieller wie organisatorischer Not, öffneten sie uns die Türen zur typisch nepalesischen Einstellung. Wenn etwas nicht funktionierte oder unlogisch erschien, erhielten wir immer die Antwort „That’s Nepal!“ Immer im und für den Moment zu leben, scheint ein generelles Lebensmotto zu sein.
Nach diesem Motto haben wir schließlich auch für zehn Tage gelebt und viel gemeinsam erlebt von Paragliding über hindu-buddhistische Sehenswürdigkeiten bis zu einer authentischen Dorfführung durch die nepalesischen „Mud-huts“ der Tharu-Kaste im Chitwan Nationalpark.



Pünktlich zur Weihnachtsfeier waren wir wieder in Delhi. Hier war dann auch schon etwas mehr Weihnachtsstimmung aufzufinden als in Nepal, insbesondere in den Einkaufszentren. Eine der größten und bekanntesten Shopping Malls „Select City Walk“ dekoriert zu jedem Fest ausführlichst seine Hallen.
Hier einige Fotos der Weihnachtsdekoration in und um die Mall herum.


Wie zu erkennen ist, konnte ich keine komplette Aufnahme des Baums bekommen, da ich inmitten einer riesen Menschenmasse stand, die allesamt ein Foto von sich mit dem Baum wollten. Es scheint eine sehr beliebte Attraktion zu sein. Auf facebook sind diese Fotos dann alle wieder zu finden.
Und es gab Schneemänner und sogar einen indischen Weihnachtsmann!


Scheinbar gab es auch einen indischen Weihnachtsmarkt, den ich leider erst auf dem Foto entdeckt habe. Vermutlich hätte ich hier jedoch keinen Lebkuchen und Glühwein bekommen. Ganz ohne Lebkuchen musste ich jedoch nicht auskommen. Zum Glück werden sie bei uns schon im Oktober verkauft, so konnte mein Freund Ende November bereits ein paar Packungen mit nach Indien schmuggeln.

In meiner Organisation wurde die diesjährige Weihnachtsfeier von einer Sponsorin geplant. Sie kam für zwei Wochen aus Frankreich, um mit den Tara Boys und Tara Tots Weihnachten zu feiern. Zudem war ein australisches Fundraising-Team dabei, das sich um die Finanzierung der Party kümmerte. Die Kinder haben mit den regelmäßigen Volunteers Weihnachtsdekorationen gebastelt und 2 Monate vor Weihnachten bereits vom Weihnachtsmann erzählt. Eines Tages erzählte mir einer der 6-jähirgen Jungen:

„Mam, on Christmas snow is coming and I make a snowman!“

Weihnachten kam, der Schnee blieb jedoch leider fern. Aber der liebe Santa Claus klopfte dafür an die Tür und verbreitete viele glückliche Gesichter. Für die Kleinen gab es meistens Mützen, Zahnbürsten und Hausschuhe. Mit ein wenig Einfluss des Teams konnten etwas nützlichere Geschenke organisiert werden. 


Seltsamerweise gab es für die Kinder bereits am 21. Dezember eine Weihnachtsfeier, ebenfalls mit einem Weihnachtsmann, da eine Partnerorganisation eine Feier für die Kinder organisiert hatte. Außer mir schien niemand zwei Weihnachtsfeiern für seltsam zu halten.
Achja, und derselbe Junge meinte erst letzte Woche, als sie sich für „Park-Time“ fertig machten:

„I’m going to build a snowman at the park“. =)

Für mehr Bilder der Kinder und der Weihnachtsfeier einfach hier klicken http://www.taraindia.org/

Ich erkannte leider erst nach Weihnachten, was den kompletten Dezember über gefehlt hat – der ultimative Weihnachtsstimmungsmacher „Last Christmas“. Jedes Jahr beschwert man sich über dieses Lied und seine lange Spielzeit im Radio. Wenn man es aber ein Jahr verpasst, dann fehlt doch irgendwie etwas an Weihnachten. =)

Dieses Jahr verbrachte ich mit meiner Schwester und Mitbewohnerin einen ruhigen Silvesterabend. Am nächsten Tag ging es schließlich wieder zur Arbeit. Nun geht der Alltag in Delhi wie gehabt weiter und ich bin gespannt, was ich noch alles in meinem letzten Monat erleben werde. Vermutlich ähnliche Situationen wie folgende.


Umzingelt von Schulmädchen beim Ausflug zu HumayunsTomb. Jeder Tag scheint ein Schulausflugstag zu sein. Ruhe bekommt man an Delhis Sehenswürdigkeiten nie. Das ist eben
„incredible India“!
Heather Attwood