Mobilitätssemester in Taipei von September
2013 bis Februar 2014
Nun
bin ich bereits seit 5 Monaten auf der Insel Taiwan in meinem
Mobilitätssemester. Die Zeit verging bisher wie im Flug und ich kann es gar
nicht fassen, dass ich diesen Ort, der mir inzwischen schon so vertraut
geworden und auch ans Herz gewachsen ist, schon bald wieder verlassen muss.
Bildquelle: http://taiwantravelblog.com/10-things-you-need-to-know-about-taiwan/ |
Taiwan
ist eine Insel im West-Pazifik vor dem chinesischen Festland und gehört zur
demokratischen Republik China. Diese
ist nicht zu verwechseln mit der von Mao Zedong gegründeten kommunistischen Volksrepublik China. Relativ schnell
kommt man auf Taiwan mit der zum Teil etwas verwirrenden Vergangenheit in
Kontakt, zum Beispiel, wenn man auf seinem Studentenausweis oder in anderen
staatlichen Dokumenten sein Geburtsdatum in der Zeitrechnung der Republik
vorfindet. So befindet sich Taiwan jetzt im Jahr 103 nach dem Ende des
chinesischen Kaiserreiches und der Gründung der Republik in China 1912. Die
Insel Taiwan, die bis 1945 japanisches Kolonialgebiet war, kam erst nach dem 2.
Weltkrieg zurück in das Herrschaftsgebiet der Republik und diente der
regierenden Partei Guomindang dann
1949 mit dem Sieg Mao Zedongs und der kommunistischen Partei als
Rückzugsgebiet. Das hat zur Folge, dass der rechtliche Status von Taiwan bis
heute ungeklärt ist, da die Volksrepublik
China auf dem Festland Taiwan als abtrünnige Provinz sieht, während sich
die Republik China auf Taiwan als
souveränen Staat proklamiert.
Blick vom Universitätscampus aus |
Nachdem
ich 2012 bereits an einer Chinese
Language and Culture Summerschool in Taiwan teilgenommen hatte, erwartete
mich bei meiner Ankunft keine gänzlich neue Welt für mich, sondern vielmehr das
vertraute Gesicht einer taiwanischen Freundin, die mich am hoffnungslos
unterkühlten Flughafen in Taipei empfing. Ich war am Morgen meines Abfluges von
Deutschland mit Schüttelfrost und Fieber aufgewacht und hatte nun die 23
Stunden Reise mit Schmerzmitteln überstanden. Bereits an meinem dritten Tag
fing mein Vollzeit-Chinesisch-Sprachkurs an der National Cheng Chi University in Taipei an und so blieb wenig Zeit
zum Auskurieren. Das Wohnheim, in dem ich untergebracht bin, hat, wie ich schon
von meinem ersten Aufenthalt wusste, keine Küche. Kochen ist in Taiwan
tatsächlich etwas vollkommen Unnötiges. Essen gibt es hier rund um die Uhr an
jeder Straßenecke und nach günstigen Restaurants muss man nicht lange Ausschau
halten. Nicht wenige Studenten in Taiwan hatten wohl noch nie einen Kochlöffel
in der Hand und machen sich noch eher über einen lustig, wenn man versucht selbst
etwas zuzubereiten. Am Abend geht man nicht selten auf die unzähligen Nightmarkets in der Stadt. Eine
Ansammlung von Essensständen mit allerlei Leckereien und oft auch Skurrilem,
wie zum Beispiel Stinktofu oder fermentiertem Ei.
Im Großen und Ganzen lässt
sich feststellen, dass für uns Europäer das Auge doch wesentlich öfter mitisst
als für die Taiwaner. Viele Gerichte sehen unappetitlich oder wenig liebevoll
auf den Teller geworfen aus, schmecken jedoch wenn man sie erst einmal probiert
ausgezeichnet. Einzig einen Mülleimer findet man selten, weswegen man meist den
ganzen Abend mit leeren Tüten und Abfall in der Hand herumläuft. Dennoch
überlegt man es sich zweimal irgendwo seinen Müll hinzuwerfen, da man beim
Anblick der pflichtbewussten Taiwaner doch gar zu schnell ein schlechtes
Gewissen bekommen würde.
So
kann man die Taiwaner im Allgemeinen doch als sehr mitmenschlich bezeichnen:
Kein Gedränge in der U-Bahn, kein Vordrängeln an Essensständen, umfassende
Entschuldigungen bei versehentlichem Anrempeln, unglaublich hilfsbereit und
zuvorkommend. Da passiert es einem leicht einmal, dass man, wenn man nach dem
Weg fragt, gleich die ganze Strecke begleitet wird oder, dass man, wenn man
gerade verloren irgendwo umherirrt, einfach per Anhalter zur nächsten U-Bahn-Haltestelle
gefahren, davor aber noch zum Abendessen eingeladen wird. Dementsprechend habe
ich hier doch oft das Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein, die Taiwan
bewohnt.
Meine Freundin und ich am Chiang Kai-Shek Memorial |
Dieses
außerordentlich heimische Gefühl hat sich bei mir allerdings erst mit dem
Erlernen und Benutzen der chinesischen Sprache herausgebildet. Nach etwa 2
Monaten täglichem Sprachkurs konnte ich schon deutliche Fortschritte in meinem
Chinesisch feststellen und ich merkte, wie man plötzlich ganz anders in dieser
fremden Kultur agieren kann und Erfahrungen macht, die einem sonst verborgen
geblieben wären. Meiner Meinung nach bekommt man mit dem Erlernen der Sprache
auch mehr Verständnis für das Verhalten der Leute und das alltägliche
Miteinander. Nach und nach kann man Speisekarten, Straßenschilder,
Busdurchsagen oder Taiwaner im Gespräch verstehen und die Kultur damit besser
kennenlernen.
Am Zhinan-Tempel |
Der
Sprachkurs nimmt jedoch sehr viel Zeit in Anspruch. Da blieb insbesondere am
Anfang wirklich wenig Freiraum mich einmal mit meinem geplanten Studienprojekt
mit dem Thema „Pilgerschaft zum Zhinan-Tempel“ zu beschäftigen. Der
Zhinan-Tempel ist Taiwans berühmtester taoistischer Tempel und ist relativ nahe
an meiner Uni gelegen. Als ich den Tempel das erste Mal mit einer anderen
Austauschstudentin besuchte, wurden wir gleich von einer alten buckligen Frau
empfangen, die uns jeweils drei entzündete Räucherstäbchen in die Hand drückte,
durch die ganze Tempelanlage führte und uns bei jeder mehr oder weniger
berühmten Gottheit aufforderte uns dreimal zu verbeugen. Nach gefühlten 50
Verbeugungen durften wir die Räucherstäbchen dann auch in eine Schale stecken
und die Frau abwimmeln, die uns nun Anhänger mit der Tempelgottheit verkaufen
wollte. Mit meinem Chinesisch versuchte ich dann schon bald ein paar
Tempelangestellte zu genaueren Abläufen und Einzelheiten im Tempel zu befragen,
merkte jedoch schnell, dass zwar meine Fragen verstanden wurden, mein
Chinesisch aber bei Weitem noch nicht ausreichte, um die speziellen Begriffe im
Tempelvokabular zu verstehen und bei den allgemeinen Antworten genauer
nachzuhaken.
Von
Deutschland aus hatte ich bereits Kontakt mit einer amerikanischen
Sozialwissenschaftlerin namens Linda hergestellt, die sich insbesondere auch
mit Religion in Taiwan befasst hat und des Öfteren den Zhinan-Tempel besucht.
Sie machte mich mit einer Art Schamanen oder auch Medium (über die Definition
bin ich mir noch nicht sicher) im Tempel bekannt, der für die Tempelpilger
Probleme löst, einen Blick in die Zukunft wirft oder spezielle Rituale für sie
ausführt. Ich komme nun öfter in den Tempel, um die Leute anzusehen, die ihn
besuchen und die Rituale, die er ausführt, um ihnen zu helfen. Leider kann ich
sein Chinesisch fast gar nicht verstehen, weswegen mir zuerst von einer
Tempelangestellten von Chinesisch in Chinesisch übersetzt wurde. Da das aber
auch nicht das Gelbe vom Ei war, bat ich Linda um Hilfe mir beim Führen von
Interviews zu helfen. Bereits beim ersten Interview erzählte uns der Meister,
dass er sich nun in seiner 11. Inkarnation auf der Erde befinde und bereits im
Alter von 3 Jahren sein Schicksal und den Sinn seines Lebens wusste, dass dazu
bestimmt sei anderen Menschen zu helfen.
In
etwa zur gleichen Zeit bemerkte ich eines Abends Vorbereitungen einer großen
Feier in einem Tempel gleich neben meiner Unterkunft. Ich erkundigte mich
daraufhin um welche Feierlichkeiten es sich handelt und erfuhr, dass am
nächsten Tag der Geburtstag des Tempelgottes sei und Priester engagiert wurden,
die spezielle Rituale dafür ausführen sollten. Als ich am nächsten Tag den
Tempel besuchte, bekam ich am späten
Nachmittag eine Schamanin oder weibliches Medium zu Gesicht, das sich komplett
anders präsentierte als der Meister im Zhinan-Tempel. Ihre Augen waren von einer
Augenbinde verdeckt und sie sprach mit einer tiefen Stimme. Der Stimme des
Tempelgottes. Ich merkte, dass sich mein Studienprojekt in eine ganz bestimmte
Richtung zu entwickeln schien, nämlich in die des Schamanismus.
Nun
bin ich bereits fast am Ende meines Aufenthalts angelangt und habe schon ein
paar Interviews und unzählige Eindrücke im Rucksack, den ich mit mir zurück
nach Tübingen nehmen werde. Die Erlebnisse und Erfahrungen eines
Auslandsaufenthalts sind wirklich horizonterweiternd. Ich möchte keinen Moment
davon missen und freue mich schon auf die Entdeckungen, die noch vor mir
liegen.
Florian Eitzenberger
Januar 2014
Blick auf den Taipei 101 vom Xiangshan aus |
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